by R Froese · 2016 — Warnung vor dem Zusammenbruch des Dorschbestandes ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2016/2016/cod-2224.pdf.

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1 Warnung vor dem Zusammenbruch des Dorschbestandes in der westlichen Ostsee Rainer Froese 1, Jan Dierking 1, Nele Matz -Lück 2, Silvia Opitz 1, Martin Quaas 3, Thorsten Reusch 1 1) GEOMAR, Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung, Kiel 2) Walther -Schücking -Institut f ür Internationales Recht, Christian -Albrechts -Universität zu Kiel 3) Institut für Volkswirtschaftslehre, Christian -Albrechts -Universität zu Kiel Kontakt e: Rainer Froese, rfroese@geomar.de ; Martin Quaas, quaas@economics.uni -kiel.de ; Thorsten Reusch, treusch@geomar.de Veröffentlicht als World Wide Web electronic publication, http://oceanrep.geomar.de/34979/ , 30.11.2016 Zusammenfassung Der Dorschbestand in der westlichen Ostsee befindet sich seit Jahren außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Diese Situation hat sich jetzt weiter verschlechtert, so dass im Jahr 2016 die Anzahl der einjährige n Jungdorsche nur 3 .5% des durchschnittlichen Nachwuchses betrug . Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) hat deshalb eine drastische Reduzierung der kommerziellen Fänge im Jahr 2017 angeraten . Leider ist die Politik dieser Empfehlung nicht gefol gt, und es sind etwa doppelt so hohe Fänge erlaubt worden. In Deutschland beschlossene finanzielle Hilfsmittel für die Fischer tragen ebenfalls nicht zur Verringerung dieser Fänge bei. Die wenigen einjährigen Dorsche von 2016 werden daher in 2017 stark bef ischt , bevor sie im Jahr 2018 den Elternbestand stellen. Es ist zu befürchten, dass der Nachwuchs von diesem viel zu kleinen Elternbestand ganz ausbleibt und der westliche Dorsch bestand im Jahr 2019 zusammenbricht , mit den entsprechenden drastischen Folge n für Berufs – und Angelfischerei . Um den Fortbestand des westlichen Dorsches zu sichern , schlagen wir vor, die Fischerei und Angelei auf Dorsch in der westlichen Ostsee für zwei Jahre einzustellen , mit Ausgleichszahlungen für Berufsf ischer und Angelkutter. Hintergrund Die Ostsee beherbergt zwei Dorschbestände, einen westlich und einen östlich von Bornholm. Die se Bestände sind genetisch deutlich verschieden (Berg et al. 2015) und können sich nur in ihren

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2 jeweiligen Laichgebieten erfolgreich fortpflanzen, da die Schwebfähigkeit der Eier an die deutlich verschiedenen Salzgehalte angepasst ist . Steigen die Eier zur Oberfläche oder sinken sie zu Boden , so ist die Überlebenswahrscheinlichkeit sehr gering (Nissling et al. 1994, Petereit et al . 2014) . Sollte der westliche Dorschbestand zusammenbrechen , so ist eine schnelle Wiederbesiedlung des Gebietes durch den östlichen Dorsch deswegen sehr unwahrscheinlich. Der Zustand der Dorschbestände wird jede s Jahr von der Arbeitsgruppe WGBFAS des Inte rnationale n Rates für Meeresforschung (ICES) abgeschätzt. Deutschland ist in dieser Arbeitsgruppe vertreten und hat zur zeit den Vorsitz. Basierend auf kommerziellen Fangdaten, Abschätzungen der Angelfänge, Auswertung von Forschungsfängen und Annahmen über den zu erwartenden Nachwuchs , empfiehlt WGBFAS nach bestimmten Regeln (ICES 2016a) eine maximale nachhaltige Fangmenge für das folgende Jahr. Diese Empfehlung wird vom ICES intern und extern wissenschaftlich begutachtet und bei Akzeptanz an die Europäische Kommission (DG MARE) weitergeleitet. DG MARE lässt die Empfehlung nochmals von einer Kommission (STEFC) begutachten und holt auch Stellungnahmen von betroffenen Interessengruppen ein. DG MARE veröffentlicht dann eine Empfehlung für die erlaubte Gesamtfang menge (Total A llowable C atch, TAC) . Der TAC wird danach von den europäischen Landwirtschaftsministern im Ministerrat in Brüssel noch einmal verhandelt und dann verbindlich beschlossen. Der westliche Dorsch wird überwiegend von Dänemark und Deutschland befi scht (Schweden und Polen haben geringere Anteile) und der TAC wird praktisch zwischen den Landwirtschaftsministern dieser Länder ausgehandelt . Laut den Bestandserfassungen des ICES (ICES 2016b) wird d er westliche Dorsch seit Jahrzehnten sehr stark überfis cht . Die erlaubten Fänge wurden so großzügig festgelegt, dass die Fischer s ie nicht wirtschaftlich profitabel ausfischen konnten (ICES 2016c, Tabelle 8.3.4.8). Die tatsächlichen Fänge waren schon nach kurzer Zeit so gering, dass die Kosten der Ausfahrt nic ht mehr gedeckt wurden (Kai -Arne Schmidt, Fischer, in NDR Redezeit , 13. Oktober 2016) . Aufgrund der langjährigen Überfischung befindet sich der Dorschb estand seit Jahren außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Das bedeut et, dass der Elternbestand so klein ist, dass eine normale Nachwuchsproduktion gefährdet ist. Seit 2009 besteht sogar eine mehr als 50 prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Nachwuchs beeinträchtigt ist oder ausbleibt . Die Bewirtschaftung des westlichen Dorsches steht im Widerspruch zu de n Zielen der Gemeinsamen

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3 Fischereipolitik (GFP 2013 ) der EU, die anstrebt, die Fangquoten so festzulegen, dass die Bestände sich erholen und dann langfristig hohe Fänge liefern können. Zum Schutz von bedrohten Beständen erlaubt die GFP sowohl die Schließun g der Fischerei als auch die Schließung von besonderen Gebieten. Dass die aktuellen Höchstfangmengen für den Dorsch abweichend von den wissenschaftlichen Empfehlungen festgelegt worden sind, zeigt, dass trotz der Reform der GFP der langfristige Erhalt von Beständen immer noch hinter kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen zurücksteht. Dorsche in der westlichen Ostsee können über 1 Meter lang und über 10 Jahre alt werden. Wegen der starken Über fischung der letzten Jahrzehnte und der geringen Mindestgröße für die Vermarktung von 35 cm (herabgesetzt von 38 cm seit 2015 ) ist die Größen – und Altersstruktur des Dorsches so verkürzt, dass der Fang überwiegend aus kleinen z wei – und drei jährigen Dorschen besteht (ICES 2016b, Tabelle 2.3.15) . Zwei – bis dreijährige D orsche wiegen etwa 1 kg , während fünfjährige Dorsche etwa 5 kg wiegen (ICES 2016b, Tabelle 2.3.18) . Für den gleichen erlaubten Fang muss man also fünfmal mehr Jungdorsche als große Dorsche töten. Eine gesunde Größen – und Altersstruktur wird deshalb nicht durch das Schonen weniger großer Dorsche erreicht, sondern dadurch , dass man möglichst viele Jungdorsche heranwachsen lässt und erst dann einen nachhaltigen Anteil (etwa 20%) der großen Dorsche entnimmt. Ein e solche Fischerei erlaubt deutlich höhere nachhal tige Fänge bei geringeren Fangkosten (Froese et al. 2016). Das Fehlen großer alter Dorsche und die Abhängigkeit von Jungdorschen machen den Bestand anfällig für starke Bestandsschwankungen und für Nachwuchsprobleme (Hixon et al. 2014 ). Zudem beinhaltet eine anhaltend geringe Bestandsgröße die Gefahr der Einschränkung der genetischen Vielfalt, was die Widerstandskraft gegen die Herausforderungen des Klimawandels verringer t (Pauls et al. 2013 ). Ökosystemmodelle des GEOMAR Helmholz -Zentrums für Ozeanforschun g Kiel zeigen schon seit Jahren einen Mangel an Jungdorschen in der westlichen Ostsee. Die Modelle zeigen außerdem, dass die Fischerei mehr als 75% der jährlichen Produktion des Elternbestands entnimmt (Opitz et al., in prep) . Diese Ergebnisse stimmen mit denen des ICES (2016b) gut überein und bestätigen die zu hohe Ausbeutung und den bedrohlichen Zustand des Bestandes. In Ländern wie Australien oder den USA wäre die Befischung eines so dezimierten Bestandes längst eingestellt und durch einen strikten Wiede raufbauplan ersetzt worden (MSA 2006, DAFF 2007) .

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4 Das aktuelle Problem Die letzte Bestandsabschätzung für den westlichen Dorsch wurde im Apr il 2016 durchgeführt (ICES 2016b ) und eine aktualisierte Kurzfassung wurde am 6. Oktober 2016 veröffentlicht (ICE S 2016c) . Danach beträgt die Anzahl der einjährigen Dorsche in der westlichen Ostsee im Jahr 2016 weniger als 10% der letzten Jahre und nur etwa 1% des Jahres 1998 oder 3.5% des langjährigen Durchschnitts . Für das Jahr 2017 hat der Ministerrat jetzt etwa das Doppelte der vom ICES angeratenen Höchstfangmenge für Angler und Fischer festgelegt . Die wenigen einjährigen Dorsche von 2016 sind die zweijährigen von 2017. Diese werden durch die hohen erlaubten Fänge stark dezimiert werden. Dorsche werden mit etwa drei Jahren geschlechtsreif (ICES 2016b, Tabelle 2.3.20) . Da es kaum ältere Fische gibt, werden die wenigen Überlebenden von 2017 den größten Teil des Elternbestand es im Jahr 2018 bilden . Auch ein sehr kleiner Elternbestand kann durch Zufall einen guten Jah rgang produzieren. Bei fortgesetzter Fischerei ist es aber viel wahrscheinlicher, dass der Nachwuchs ganz ausbleibt und der Bestand zusammenbricht. Im Rahmen der jetzt beschlossenen finanziellen Hilfe können Fischer bis zu 30 Tage im Jahr im Hafen bleiben und dafür Gelder als Ausgleich erhalten – bis zu dreimal pro Jahr zehn Tage am Stück in den Monate n Januar und April bis Juni (Zeit -online 2016) . Diese Hilfe ist kein geeignetes Mittel, um die Überfischung des gefährdeten Bestandes zu beenden , da die überh öhte erlaubte Fangmenge dadurch nicht reduziert wird und außerhalb der Hafentage gefangen werden kann . Stattdessen setzt diese Art der finanziellen Hilfe Anreize in die falsche Richtung : während zuvor der Fang eingestellt wurde , wenn es sich wirtschaftlich nicht mehr gerechnet hat, so geben die zusätzlichen finanziellen Mittel mehr Spielraum, die letzten verbliebenen Dorsche zu fangen . Auch die neuen Obergrenzen für Angler und Freizeitfischer erscheinen zu hoch: in der Laichsaison von Februar bis März , währ end der die kommerzielle Fischerei ruht , dürfen sie drei Dorsche pro Tag angeln, im Rest des Jahres fünf pro Tag . Im Jahr 2015 haben die deutschen Angler und Freizeitfischer über 3000 Tonnen Dorsch gefangen, etwa ein Drittel des Gesamtfangs. Bei der Umsetz ung des beschlossenen TAC würden die deutschen Angler im Jahr 2017 sogar mehr fangen dürfen als die deutschen Fischer.

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5 Lösungsvorschlag Um den Dorschbestand in der westlichen Ostsee langfristig zu sichern , ist es dringend geboten, die wissenschaftlich be stimmten Höchstgrenzen für die Fangmengen einzuhalten. Um den Fehler zu hoher erlaubter Fangmengen für das Jahr 2017 zu korrigieren, schlagen wir vor, für zwei Jahre den kommerzielle n Dorschf ang und die Angelei ganz ein zustell en. Eine solche vollständige S chließung lässt sich am besten kontrollieren und ist auch die ökonomisch sinnvollste Lösung um den Bestand schnell wiederaufzubauen (Froese & Quaas 2011). Die finanziellen Hilfsmittel können für Ausgleichszahlungen an die Fischer und die Angelkutter genut zt werden . Solche Ausgleichszahlungen für entgangene Fänge sind laut Zeit -Online (2016) vom Verband der Kutter – und Küstenfischer in Mecklenburg -Vorpommern gefordert worden. Auch der Landesfischereiverband Schleswig -Holstein forderte laut Zeit -Online (201 6) eine finanzielle Unterstützung für die Betriebe. Die Fischer seien dann bereit, ihren Teil zur Schonung der Bestände zu übernehmen . Beide Verbände haben keine Schließung der Fischerei angeboten, sind aber laut eigenen Aussagen (Zeit -Online 2016) um den Bestand besorgt und anscheinend bereit, mehr zu tun als jetzt beschlossen worden ist. Wenn die Fischerei und Angelei tatsächlich drastisch reduziert wird und der Dorschb estand die gegenwärtige Krise übersteht und sich wieder innerhalb sicherer biologische r Grenzen befindet, dann sollte durch vorsichtige, nachhaltige Fischerei und Angelei insbesondere der Aufbau einer gesunden Größen – und Altersstruktur unterstützt werden (Froese et al. 2016) . Dazu sollten die Fangmethoden schrittweise an größere Dorsche an gepasst werden. Dorsche wachsen schnell , und wenn viele Jungdorsche überleben , dann wird es in wenigen Jahren auch wieder genug ältere und größere Dorsche in der westlichen Ostsee geben. Diese sichern nicht nur den dringend benötigten Nachwuchs für den Bes tand, sie sind auch wesentlich wertvoller für Fischerei und Angler. Da mit könnten in wenigen Jahren auch die Gewinne für die Fischer und die Attraktivität der westlichen Ostsee für Angler deutlich zunehmen .

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6 Literatur Berg, P.R., Jentoft, S., Star, B., Ri ng, K.H., Knutsen, H., Lien, S., Jakobsen, K.S., André, C. 2015. Adaptation to low salinity promotes genomic d ivergence in Atlantic Cod ( Gadus morhua L.). Genome Biology and Evolution 7:1644 -1663 DAFF 2007 . Commonwealth Fisheries Harvest Strategy: Policy a nd Guidelines. Australian Government, Department of Agriculture, Fisheries and Forestry, 55 pp. Froese, R. and M. Quaas. 2011. Three options for rebuilding the cod stock in the eastern Baltic Sea. Marine Ecology Progress Series 434:197 -2011. Froese, R., W inker, H., Gascuel, D., Sumaila, U.R., Pauly, D. 2016. Minimizing the impact of fishing. Fish and Fisheries, 17(3):785 -802. GFP 2013 . Regulation (EU) No 1380/2013 of the European Parliament and of the Council of 11 December 2013 on the Common Fisheries Pol icy. Official Journal of the European Union 354, 22Œ61. Hixon M .A., Johnson D .W., Sogard S .M. 2014 . BOFFFFs: on the importance of conserving old -growth age structure in fishery populations. ICES Journal of Marine Science: Journal du Conseil 71:2171 -2185 ICES 2016a. General context of ICES advice. In Report of the ICES Advisory Committee, 2016. ICES Advice 2016, Book 1, Section 1.2. ICES 2016b . Report of the Baltic Fisheries Assessment Working Group (WGBFAS), 12 Œ19 April 2016, ICES Headquarters, Copenhagen, Denmark. ICES CM 2016/ACOM:11. ICES 2016c. Cod ( Gadus morhua ) in subdivisions 22 Œ24, western Baltic stock (western Baltic Sea). Version 3, 6 October 2016. Heruntergeladen am 15 November 2016 von http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2016/2016/cod -2224.pdf MSA 2006. Magnuson -Stevens Fishery Conservation and Management Reauthorized Act, Public Law 109Œ479. Nissling , A., Kryvi , H., Vallin , L. 1994. Variation in egg buoyancy of Baltic cod Gadus morhua and its implications for egg survival in prevailing conditions in the Baltic Sea. Marine Ecology Progress Series 110:67 -74 Opitz, S., Garilao, N, Froese, R. in prep. Trophic imbalance in the western Baltic Sea . Pauls , S.U., Nowak , C., Bálint , M., Pfenninger , M. 2013 . The impact of global climate change on genetic diversity within populations and species. Molecular Ecology 22:925 -946 Petereit , C., Hinrichsen , H.H., Franke , A., Köster , F.W. 2014 . Floa ting along buoyancy levels: Dispersal and survival of western Baltic fish eggs. Progress in Oceanography 122:131 -152 Zeit -Online 2016. Neue Ostsee -Fangmengen sind beschlossen. Heruntergeladen am 25. November 2016 von http://www.zeit.de/news/2016 -10/11/eu -weniger -dorsch -dafuer -mehr -scholle -und -sprotte -11073603

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