by F Dorn · Cited by 3 — Wie beeinflussen Steuerentlastungen die wirtschaftliche Entwicklung und das Steueraufkommen? Eine quantitative Analyse mit einem CGE-Modell*.

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3ifo Schnelldienst 10 / 2021 74. Jahrgang 13. Oktober 2021 STEUERREFORMEN: WIRKUNG VON STEUERENTLASTUNGEN AUF DAS STEUERAUFKOMMEN Vor dem Hintergrund der Bundestagswahl und der Re -gierungsbildung in Deutschland wird derzeit intensiv über die Steuerpolitik der nächsten Legislaturperiode diskutiert. Dabei stehen sich zwei Seiten gegenüber. STEUERPOLITIK ZWISCHEN VERTEILUNGS- UND WACHSTUMSZIELEN Die eine Seite in der Diskussion betont verteilungspo -litische Zielsetzungen. Sie will zur Finanzierung von staatlichen Ausgabenprogrammen und angesichts der Rekordschulden infolge der Coronakrise wohl -habendere Steuerzahler stärker belasten und fordert deshalb beispielsweise höhere Spitzensteuersätze in der Einkommensteuer und die (Wieder-)Einführung einer Nettovermögensteuer. Spielräume für Steuer -entlastungen für Unternehmen werden von dieser Seite nicht gesehen. Dabei wird in Kauf genommen, dass die wirtschaftliche Erholung nach der Corona -krise beeinträchtigt und die langfristige Wirtschafts -entwicklung gedämpft werden könnte. Die andere Seite möchte die Steuerpolitik hinge -gen bewusst auf die Förderung der wirtschaftlichen Erholung ausrichten und deshalb Unternehmen und auch Steuerzahler mit höheren Einkommen entlasten. Das soll private Investitionen und Beschäftigung stei -gern. Diese Seite nimmt in Kauf, dass Besserverdiener möglicherweise stärker profitieren als andere. Außer -dem könnten weniger Steuereinnahmen für staatliche Ausgabenprogramme zur Verfügung stehen. In der Debatte über die ökonomischen Wirkungen von Steuern vertreten die Gegner von Steuersenkun -gen oft die These, dass davon keine nennenswerte positive Wirkung auf Investitionen und Beschäfti -gung ausgehe. Umgekehrt argumentieren Kritiker von Steuer erhöhungen, diese seien »Gift« für die wirt -schaftliche Erholung. Diese Debatte wird oft auf der Basis nicht sonderlich gut fundierter und sehr einsei -tiger Thesen über die Wirkungsweise von Steuern und Abgaben geführt. Folgewirkungen einzelner Steuerän -derungen auf andere Steuerquellen werden meistens vollständig ausgeblendet. Über den richtigen Weg in der Steuerpolitik kann man sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Das kann beispielsweise mit Präfe -renzen für mehr oder weniger Staat zusammenhängen Œ hier spielen individuelle Bewertungen von Güter -bündeln und ideologische Einstellungen eine Rolle. Die Antwort auf die Frage, wie sich Steuern auf Investitionen oder Beschäftigung auswirken, sollte jedoch ideologieunabhängig sein. Das heißt nicht, dass diese Frage leicht zu beantworten ist oder auch nur, dass es leichter sein sollte, darüber Einigkeit zu erzielen. Im Gegenteil: Es gibt schon bei der Messung der Auswirkungen vergangener Steueränderungen erhebliche methodische Herausforderungen und ver -Florian Dorn, Clemens Fuest , Florian Neumeier und Michael StimmelmayrWie beeinflussen Steuerentlastungen die wirtschaftliche Entwicklung und das Steueraufkommen? Eine quantitative Analyse mit einem CGE-Modell* Der vorliegende Beitrag untersucht die Auswirkungen verschie -dener derzeit diskutierter Steuerreformen auf das Steuerauf -kommen und andere ökonomische Größen mit Hilfe eines da -tenbasierten Simulationsmodells (CGE-Modell). Eine Senkung der Körperschaftsteuer um 5 Prozentpunkte führt kurzfris -tig zu einem Rückgang des Steueraufkommens um 13,8 Mrd. Euro. Langfristig sind die jährlichen Steuerausfälle kleiner, weil Investitionen und Beschäftigung steigen. Eine Kombina -tion aus Körperschaftsteuersenkung und beschleunigten Ab -schreibungen würde kurzfristig das Steueraufkommen sogar um 30 Mrd. Euro senken. Dafür würden Investitionen und Beschäftigung so stark zunehmen, dass die jährlichen Steuer -einnahmen mittelfristig wieder auf das Ausgangsniveau anstei -gen. Das Bruttoinlandsprodukt und der Konsum der privaten Haushalte wären aber um rund 3% höher als ohne Reform. Die Löhne würden um etwa 4% höher liegen. Es werden au -ßerdem Einkommensteuererhöhungen und eine Erhöhung der Umsatzsteuer betrachtet. Die Finanzierung öffentlicher Aus -gaben durch die Umsatzsteuer hat weniger negative Wirkun -gen auf Investitionen, Beschäftigung und folglich die gesamt -wirtschaftliche Entwicklung als die Finanzierung durch die Einkommensteuer. Das verweist auf die klassische Abwägung zwischen Verteilungs- und Effizienzzielen in der Steuerpolitik. IN KÜRZE * Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Studie »Steuerreform nach der Krise Œ für Einfachheit, faire Lastenverteilung und Wettbe -werbsfähigkeit« im Auftrag der Gesellschaft zur Förderung der wirt -schaftswissenschaftlichen Forschung (Freunde des ifo Instituts) e.V.

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4schiedene Arten, damit umzugehen. Die Prognose der Wirkungen künftiger, hypothetischer Steueränderun -gen ist noch schwieriger und kontroverser. Trotzdem ist bereits viel gewonnen, wenn transparent ist, auf Basis welcher Prämissen Thesen über Steuerwirkun -gen entwickelt werden und wie die Prämissen be -gründet werden. Der vorliegende Beitrag untersucht fiskalische und weitere ökonomische Wirkungen verschiedener derzeit diskutierter Steuerreformen mit Hilfe eines CGE-Simulationsmodells (sog. numerisches allge -meines Gleichgewichtsmodell/ Computable General Equilibrium Model ). Der Fokus liegt dabei auf den Aufkommenseffekten sowie den Auswirkungen auf wichtige volkswirtschaftliche Ag -gregatgrößen wie Investitionen, dem Beschäftigungsniveau, der Lohnsumme, privatem Konsum und dem Bruttoinlandsprodukt. Die gleichzeitige Analyse von fis -kalischen Aufkommenswirkungen und weiteren ökonomischen Ef -fekten erlaubt es uns, Kosten und Nutzen verschiedener Reformop -tionen abzuwägen. Der Beitrag gliedert sich wie folgt. Im nächsten Abschnitt erklären wir den Aufbau des Simulationsmodells. Im An -schluss stellen wir die analysier -ten Reform szenarien vor. Danach werden die Ergebnisse gezeigt und zuletzt deren finanzpolitische Implikationen diskutiert. GRUNDZÜGE DES VERWEN- DETEN SIMULATIONSMODELLS Die Quantifizierung der mak -roökonomischen Auswirkun -gen der verschiedenen Steu -erreformvorschläge erfolgt auf Basis eines berechenbaren all -gemeinen Gleichgewichtmodells (CGE-Modell). Die Grundlage des CGE-Modells ist ein datengestütz -tes, mikroökonomisch fundiertes, dynamisches Wachstumsmodell, das die inländische Volkswirt -schaft, bestehend aus einem Unternehmens-, Haushalts- und Staatssektor, im Detail abbildet. Zudem werden die Interaktionen zwischen dem In- und Ausland in Form von ausländischen Direktin -vestitionen im Inland, Auslands -vermögen der Inländer und grenz -überschreitendem Kapital- und Güterverkehr (Außenhandel) im Modell berücksichtigt. Die Modellierung der einzel -nen Sektoren der inländischen Volkswirtschaft sowie deren Interaktionen mit dem Ausland wird detailliert in der Infobox »Modellierung der Sektoren im Simu -lationsmodell« beschrieben. Die Entscheidungen von Unternehmen und Haus -halten unterliegen einem intertemporalen Optimie -rungskalkül, wobei Interdependenzen zwischen den einzelnen Sektoren explizit berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung der allgemeinen Gleichgewichts -effekte erlaubt es, nicht nur das Steueraufkommen aus den verschiedenen Steuerreformvorschlägen zu simulieren, sondern auch Aussagen über die Verän -derung des Steueraufkommens bei anderen Steu -erarten zu treffen. Eine ausführliche Beschreibung des Modells ist in Radulescu und Stimmelmayr (2010) und Stimmelmayr (2007) zu finden. Abbildung 1 zeigt eine schematische Abbildung der Modellstruktur, die im Modell berücksichtigten Sektoren sowie die Zah -lungsströme zwischen den Sektoren. Für die numerische Implementierung des Modells werden funktionale Formen für die Verhaltensglei -chungen spezifiziert und Verhaltenselastizitäten ge -setzt. Die Kalibrierung stellt sicher, dass das Modell die wichtigsten ökonomischen Kenngrößen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) für das Jahr 2019 sowie die Verhaltensreaktionen gemäß der ökonometrischen Literatur widerspiegelt. Im Status quo entwickelt sich die modellierte Volkswirtschaft entlang eines gleichgewichtigen Wachstumspfads, der im Modell als stationäres Gleichgewicht (»steady state«) mit konstanten Wachs -tumsraten abgebildet wird. 1 Volkswirtschaftliche Effizienzverluste, die sich durch die verschiedenen Steuerreformvorschläge ergeben, zeigen sich in Form einer Abweichung vom Trendwachstum. Die dynami -sche Struktur des Modells erlaubt es, Steuerkapitali -sierungseffekte zu berücksichtigen und zwischen den kurz- und langfristigen Effekten verschiedener Steu -erreformvorschläge zu unterscheiden. Die im Modell unterstellte Halbwertszeit beträgt ca. sechs Jahre. Demgemäß sind nach den ersten sechs (zwölf) Jahren nach einer Politikmaßnahme 50% (75%) der Anpas -sung des langfristigen Kapitalstocks abgeschlossen. 2 BETRACHTETE STEUERREFORMEN Im Folgenden analysieren wir vier Steuerreformen: 1. Reform 1 ist eine Senkung der Körperschaftsteuer um 5 Prozentpunkte, also von derzeit rund 15 auf 10%. Die effektive Gesamtbelastung der Gewinne einer repräsentativen Kapitalgesellschaft durch 1 Gemäß aktuellen Schätzungen der Bundesbank wird angenom -men, dass das jährliche Trendwachstum 1,25% beträgt (Deutsche Bundesbank 2012). 2 Die geschätzte Halbwertszeit für Volkswirtschaften liegt zwischen sechs und zehn Jahren, wobei eine geringere Halbwertszeit mit einer schnelleren Anpassung des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks ein -hergeht (Keuschnigg et al. 2013; Cummins et al. 1996). ist Referent des Präsidenten des ifo Instituts. Dr. Florian Dorn ist Präsident des ifo Instituts und Professor für Volkswirtschafts -lehre, Seminar für Nationalöko -nomie und Finanzwissenschaft, an der Ludwig-Maximilians-Uni -versität München. Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest leitet die Forschungsgruppe Steuer- und Finanzpolitik am ifo Institut. Dr. Florian Neumeier ist Associate Professor/Senior Lecturer am Department für Volkswirtschaftslehre der Universität Bath, Vereinigtes Königreich. Dr. Michael Stimmelmayr

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5Körperschaft- und Gewerbesteuer würde sich so -mit von ca. 30 auf ca. 25% reduzieren. 2. Reform 2 ist eine Beschleunigung der steuerlichen Abschreibung für Investitionsgüter. Wir betrach -ten eine Umstellung von 10 auf 25% jährlicher linearer Abschreibung, also eine drastische Ver -kürzung des steuerlichen Abschreibungszeitraums von zehn auf vier Jahre. 3. Reform 3 ist eine Erhöhung der Umsatzsteuer um einen Prozentpunkt. 4. Reform 4 ist die Erhöhung des Einkommensteu -ersatzes um 3 Prozentpunkte für Einkommen ab 100 000 Euro (200 000 Euro bei gemeinsamer Veranlagung). Wir betrachten außerdem eine Kombination der Re -formen 1 und 2, also eine Senkung des Körperschaft -steuersatzes, begleitet von einer Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten. Unsere Reformszenarien orientieren sich an kon -kreten Vorschlägen, die in Deutschland aktuell dis -kutiert werden. Auf der einen Seite werden in den Wahlprogrammen einiger politischer Parteien, aber auch von Seiten der Industrie sowie von einigen Öko -Quelle: Darstellung der Autoren. Schematische Abbildung der Modellstruktur, der im Modell berücksichtigten Sektoren sowie der Zahlungsströme zwischen den Sektoren © ifo Institut Zinsen Importe Haushalte Nutzenmaximierung durch Wahl des optimalen Konsumniveaus, Arbeitsangebots und Portfolios Staat Unternehmen (Personen- und Kapitalgesellschaften) Gewinnmaximierung durch Wahl des optimalen Investitionsniveaus, Arbeitsnachfrage und Finanzierungsstruktur Ausland Unternehmens-, Staats- und Haushaltssektor Löhne, Dividenden, Zinsen, Wertzuwächse Konsum Staatskonsum Steuern Exporte Zinsen Transfers, Zinsen Steuern Abb. 1 (1) MODELLIERUNG DES UNTERNEHMENSSEKTORS Der inländische Unternehmenssektor besteht neben Personen- und Kapitalgesellschaften auch aus auslän -dischen Direktinvestitionen im Inland. 1 Das Verhalten der repräsentativen Kapital- und Personengesellschaft wird auf Basis eines intertemporalen Optimierungskal -küls bestimmt. Beide Unternehmen maximieren ihren Firmenwert durch die optimale Wahl des Investitions -volumens, der Finanzierungsform sowie der Nachfrage nach Arbeitskraft. Kapitalgesellschaften finanzieren ihre Investitio -nen anteilig über einbehaltene Gewinne, Fremdkapi -tal sowie über die Ausgabe von Beteiligungen. Perso -nengesellschaften hingegen stehen Eigenkapital oder ebenfalls Fremdkapital als Finanzierungsinstrumente zur Verfügung. Demgemäß wird in dem Modell eine 1 Es wird unterstellt, dass der Umfang an ausländischen Direktin -vestitionen im Inland ca. 15% beträgt. Dieser Wert entspricht in etwa dem Verhältnis aus der Summe der ausländischen Direktinvestitio -nen in Deutschland gemäß der Bestandserhebung der Deutschen Bundesbank und dem Wert des deutschen Nettoanlagevermögens (Deutsche Bundesbank 2017). Mischfinanzierung der Investitionen unterstellt. 2 Im Fall der Fremdfinanzierung wird die Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen von der steuerlichen Bemes -sungsgrundlage der Unternehmen berücksichtigt. In Übereinstimmung mit der Literatur zur Bestimmung der Kapitalstruktur von Unternehmen wird ferner un -terstellt, dass eine Kreditfinanzierung der Investitio -nen neben den Fremdkapitalzinsen weitere Kosten verursacht, die mit der Höhe der Fremdkapitalquote eines Unternehmens überproportional ansteigen. Die Gewinne von Kapitalgesellschaften werden auf Unternehmensebene sowohl mit der Körperschaft -steuer und der Gewerbesteuer als auch dem Solida -ritätszuschlag belastet. Unter Berücksichtigung der derzeit geltenden Besteuerungsvorschriften ergibt 2 Die Finanzierungsstruktur der Kapitalgesellschaften spiegelt im Durchschnitt das Finanzierungsverhalten deutscher Kapitalgesell -schaften wider und unterstellt, dass Kapitalgesellschaften in der Ausgangslage ihre Investitionen zu 55% über einbehaltene Gewinne, zu 39% über Fremdkapital und zu 6% über Neuemissionen von Fir -menanteilen finanzieren. Für die Personengesellschaften wird unter -stellt, dass sie ihre Investitionen zu 47% über Eigenkapital und zu 53% über Fremdkapital finanzieren (Deutsche Bundesbank 2016; Berechnungen der Autoren). MODELLIERUNG DER SEKTOREN IM SIMULATIONSMODELL

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6sich eine effektive Gesamtbelastung der Gewinne ei -ner repräsentativen Kapitalgesellschaft in Höhe von ca. 30%. Ausgeschüttete Gewinne der Kapitalgesell -schaften, d.h. Dividendenzahlungen, unterliegen zu -sätzlich der Abgeltungsteuer in Höhe von 25% (bzw. 26,4% inklusive des Solidaritätszuschlags), so dass sich die effektive Steuerbelastung zu ca. 48,3% ad -diert. Für den Fall, dass Unternehmensgewinne nicht ausgeschüttet, sondern reinvestiert werden, ergeben sich Wertzuwachsgewinne für die Anteilseigner, die bei Realisierung ebenfalls der Abgeltungsteuer in Höhe von 25% (bzw. 26,4% inklusive Solidaritätszuschlag) unterliegen. Da die Abgeltungsteuer erst bei der Re -alisierung, nicht aber bei der Entstehung von Wert -zuwächsen anfällt, ergibt sich eine geringere Steuer -last auf Wertzuwächse, als durch den statutarischen Steuersatz der Abgeltungsteuer angezeigt. 3 Bei einer unterstellten Haltedauer von etwa zehn Jahren ergibt sich eine effektive Steuerbelastung von ca. 41,0%. Personengesellschaften entrichten Einkommen -steuer, wobei die entrichtete Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer angerechnet werden kann. Für den Eigentümer einer Personengesellschaft, der dem er -höhten Spitzeneinkommensteuersatz für besonders hohe Einkommen unterliegt (Einkommen bei Einzel -veranlagung größer als 250 000 Euro/bei gemeinsamer Veranlagung größer als 500 000 Euro), ergibt sich eine effektive Grenzsteuerbelastung von ca. 47,5% (inklu -sive Solidaritätszuschlag). Bei der Kalibrierung des Unternehmenssektors spielen die Substituierbarkeit der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sowie die Kapitalnachfrageelasti -zität eine wichtige Rolle. Für die Faktorsubstitutions -elastizität wird, gemäß Schätzungen des Sachverstän -digenrates (2007), ein Wert von 0,78 verwendet. Die Kapitalnachfrageelastizität beschreibt die langfristige Veränderung des Kapitalstocks bei einem Anstieg der Kapitalnutzungskosten um 1%. Der verwendete Wert Erhöhung der Kapitalkosten eine 1%ige Reduktion des langfristigen Kapitalstocks bewirkt (Chirinko 2002). (2) MODELLIERUNG DES HAUSHALTSEKTORS Der Haushaltssektor bildet das Aggregat sämtlicher inländischer Haushalte ab und ist als repräsentati -ver Haushalt modelliert. In jeder Periode entspricht das Nettoeinkommen des repräsentativen Haushalts der Summe aus Nettoarbeitseinkommen, staatlichen Transferzahlungen und den Nettoerträgen aus Vermö -gen. Das Einkommen wird für Konsum und Ersparnis (Vermögensbildung) verwendet. 3 Dieser Vorteil wird umso größer, je länger die Haltedauer der nicht realisierten Wertzuwächse ist. In Übereinstimmung mit OECD (1991) sowie Keuschnigg und Oberlin (2008) wird im Modell eine effektive Steuerbelastung von ca. 60% des statutarischen Steuersatzes, d.h. in Höhe von 15,8%, für Wertzuwächse angenommen. Dies impliziert eine durchschnittliche Haltedauer von etwas mehr als zehn Jahren. Das intertemporale Maximierungsproblem des repräsentativen Haushalts bestimmt das optimale Konsumverhalten, das optimale Arbeitsangebot so -wie die optimale Anlageentscheidung in Form eines Portfolio-Choice-Modells. Die berücksichtigten Ver -mögenswerte im Portfolio-Choice-Modell sind Unter -nehmensanteile, Immobilienvermögen sowie Unter -nehmens- und Staatsanleihen. Eine Besteuerung der Erträge aus Ersparnis, vorrangig die Besteuerung von Kapitalerträgen durch die Abgeltungsteuer, reduziert den Ertrag aus der Ersparnis und führt somit zu einer relativen Verteuerung von zukünftigem Konsum im Vergleich zum gegenwärtigen Konsum. Als Reaktion auf diese relative Preisänderung werden Haushalte weniger sparen, und folglich wird die Vermögens -akkumulation in der Volkswirtschaft verlangsamt. 4 In einer geschlossenen Volkswirtschaft dienen die Ersparnisse der Haushalte gleichzeitig der Finanzie -rung der Investitionen der Unternehmen. In der hier modellierten offenen Volkswirtschaft besteht diese strikte Identität zwischen Investitionen und Ersparnis jedoch nicht, da ausländische Investoren ebenfalls Kapital für inländische Investitionen zur Verfügung stellen können. Neben den steuerlich induzierten Effekten auf das Sparverhalten wird die Ersparnisbildung der Haushalte maßgeblich durch die intertemporale Substitutions -elastizität beeinflusst. Sie bestimmt das Austausch -verhältnis zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum und hat damit einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf des Übergangspfads vom ursprünglichen in das neue Gleichgewicht. Der Wert der Elastizität ist in Übereinstimmung mit Flaig (1988) und Yogo (2004) auf 0,46 gesetzt. Eine weitere Entscheidung des Haushalts betrifft das optimale Arbeitsangebot. Letzteres wird durch den Trade-off zwischen dem zusätzlichen Kaufkraft -gewinn durch ein zusätzliches Nettolohneinkommen und den Kosten aus der Bereitstellung der Arbeits -kraft bestimmt. Da sowohl die Lohnsteuer als auch die Umsatzsteuer die tatsächliche Kaufkraft des Lohneinkommens reduzieren, besitzen beide Steuer -arten einen negativen Effekt auf das Arbeitsangebot des Haushalts. Die Kalibrierung des Arbeitsangebots der Haushalte erfolgt auf Basis von Perterman (2015) und beträgt 0,55. 5 4 Ist die Vermögensakkumulation negativ, so bedeutet dies, dass die Haushalte »entsparen«, also Vermögen abbauen und für Konsum -zwecke verwenden. 5 In der mikroökonometrischen Literatur findet man für diese Elas -tizität oftmals relativ geringe Werte im Bereich von 0,1 bis 0,4. Hier -bei ist aber zu berücksichtigen, dass sich diese Werte auf das Arbeits -angebot von Männern als alleinige Erwerbstätige in einem Haushalt beziehen. Demgegenüber ist die Arbeitsangebotselastizität von Frau -en um einiges höher. Auch bei Schätzungen, bei denen die Partizipa -tionsentscheidung berücksichtigt wird, findet man in der Regel deut -lich höhere Werte. Da in makroökonomischen Modellen die Arbeitsangebotselastizität für den Querschnitt der Bevölkerung und auch die Partizipationsentscheidung eines Arbeitnehmers abgebildet werden soll, wird in diesen Modellen eine etwas höhere Arbeitsange -botselastizität verwendet.

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7nominnen und Ökonomen, Forderungen formuliert, steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Unter -nehmen zu verbessern und die effektive Gewinnbe -steuerung von Unternehmen zu reduzieren bzw. auf etwa 25% zu deckeln. 3 Auf der anderen Seite gibt es Forderungen, dass die Unternehmensteuersätze in der EU nicht unterhalb von 25% liegen dürften. Zudem wird aus verteilungspolitischen Überlegungen gefor -dert, den Steuersatz für Gutverdiener um mindestens 3 Prozentpunkte zu erhöhen. 4SIMULATIONSERGEBNISSE Das Simulationsmodell, das unserer Analyse zugrunde liegt, liefert Ergebnisse für ein breites Spektrum öko -nomischer Variablen. Wir konzentrieren uns im Folgen -den auf zwei Aspekte: erstens die fiskalischen Aus -wirkungen und zweitens die Folgen für Investitionen, Löhne und Beschäftigung, privaten Konsum und das Bruttoinlandsprodukt. 5 3 Siehe u.a. Blum et al. (2020); Fuest und Peichl (2020); Wissen -schaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2019); Riedel (2021); CDU/CSU (2021); FDP (2021). 4 Beispielsweise wollen Bündnis™90/Die Grünen (2021) in ihrem Bun -destagswahlprogramm den Spitzensteuersatz ab einem Einkommen von 100 000 Euro für allein veranlagte (200 000 Euro für gemeinsam veranlagte) um 3 Prozentpunkte anheben. Die SPD (2021) fordert die -se Erhöhung um 3 Prozentpunkte ab einem Einkommen von 250 000 Euro (bzw. 500 000 Euro), während Bündnis™90/Die Grünen (2021) für diese Einkommensgrenze eine zusätzliche Erhöhung des Grenzsteuersatzes um weitere 3 Prozentpunkte vorschlagen. Die Linke (2021) möchte hingegen bereits die Grenzsteuersätze ab 70 000 Euro deutlich erhöhen. Dafür werden Erleichterungen bei den Grenzsteuer -sätzen geringer und mittlerer Einkommen in Aussicht gestellt. 5 Wir verzichten hier auf die Dokumentation verschiedener Sensiti – Abbildung 2 zeigt die fiskalischen Auswirkungen der einzelnen Reformen. Beim Steueraufkommen ist es besonders wichtig zu berücksichtigen, wie sich die Wirkungen der Reformen im Zeitablauf verändern. Eine steuerliche Entlastung von Unternehmen kann Investitionen steigern und zur Schaffung von Arbeits -vitätsanalysen, die wir durchgeführt haben. Es liegt auf der Hand, dass die Ergebnisse von den gewählten Parametern des Modells ab -hängen und Vergleiche zwischen den betrachteten Reformen besser interpretierbar sind als absolute Resultate. (3) MODELLIERUNG DES STAATSEKTORS Der Staatshaushalt beinhaltet alle wesentlichen Steu -erarten sowie öffentliche Konsumausgaben und Trans -ferzahlungen an die privaten Haushalte (Sozialversi -cherung und Sozialversicherungsabgaben sind in dem Modell nicht berücksichtigt). Zudem besteht für den Staat die Möglichkeit der Kreditaufnahme im Einklang mit dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstums -pakt. Die Steuereinnahmen insgesamt setzen sich aus dem Aufkommen aus Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer zusammen. Ausländer unterliegen mit ihrem im In -land erzielten Einkommen der beschränkten Steuer -pflicht. Die Finanzpolitik des Staates ist durch eine intertemporale Budgetbeschränkung gebunden, d.h., der Gegenwartswert aller zukünftigen Steuereinnah -men muss den Staatsausgaben zuzüglich der Staats -schulden entsprechen. (4) MODELLIERUNG DES AUSLANDS Die ausländische Ökonomie ist im Vergleich zur in -ländischen Volkswirtschaft einfach modelliert. Der ausländische Unternehmenssektor besteht lediglich aus einem repräsentativen Unternehmen, das seinen Unternehmenswert durch optimale Wahl der Inves -titionen und des Arbeitseinsatzes maximiert. Der ausländische Haushaltssektor besteht wie auch der inländische Haushaltssektor aus einem repräsentati -ven Haushalt, der seinen Nutzen durch optimale Wahl des Konsumniveaus und des Arbeitsangebots maxi -miert. Der ausländische Staatssektor ist rudimentär modelliert, erlaubt aber dem Ausland die Ausgabe von Staatsanleihen. Die Interaktion mit dem Ausland wird im Rahmen des grenzüberschreitenden Güter- und Kapitalverkehrs berücksichtigt. So haben ausländische Haushalte die Möglichkeit, inländische Güter zu erwerben so -wie inländische Wertpapiere in Form von Firmenan -teilen sowie Firmen- und Staatsanleihen zu halten. Aufgrund der weniger detaillierten Modellierung des Auslands stehen den inländischen Haushalten aus -schließlich ausländische Güter und Staatsanleihen als Form der grenzüberschreitenden Vermögensanlage zur Verfügung. Œ30 Œ20 Œ10 0101 – Reduktion der Körperschaft- steuer 3 – Erhöhung des ESt-Spitzensteuer- satzes Kombination 1 + 2 Jahr 1 nach der Reform Jahre 1 bis 3 nach der Reform (Durchschnitt) Lange Frist (»steady state«) Betrachtet werden (1) eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes um 5 Prozentpunkte, (2) beschleunigte Abschreibungen, (3) eine Erhöhung des Einkommensteuersatzes um 3 Prozentpunkte ab 100 000 (200 000) Euro, (4) eine Erhöhung der Umsatzsteuer um einen Prozentpunkt und (5) eine Kombination aus (1) und (2). Tabelle A1 im Anhang zeigt die Ergebnisse in Tabellenform. Quelle: Berechnungen der Autoren mit dem CGE -Simulationsmodell. Fiskalische Effekte der Reformszenarien Veränderung des jährlichen Steueraufkommens in der kurzen und langen Frist © ifo Institut Mrd. Euro 2 – Beschleunigte Abschreibungen 4 – Erhöhung der Umsatzsteuer Abb. 2

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8plätzen führen. Da die Planung und Durchführung zusätzlicher Investitionsprojekte üblicherweise Zeit benötigt, nehmen Investitionen und Beschäftigung erst mit zeitlicher Verzögerung zu. Im Rahmen des Simulationsmodells wird das durch Anpassungskos -ten berücksichtigt. Die schrittweise Anpassung der Investitionen, und damit auch der Beschäftigung, be -deutet, dass sich die Steuereinnahmen für einen län -geren Zeitraum nach der Reform jedes Jahr erheblich verändern, bis nach vollendeter Anpassung der neue Gleichgewichtszustand (»steady state«) erreicht ist. Wir unterscheiden dabei zwischen den fiskalischen Effekten im ersten Jahr nach der Reform, in den ers -ten drei Jahren nach der Reform und den langfristigen Effekten, nachdem alle ökonomischen Anpassungen erfolgt sind. Es zeigt sich, dass Zeitverzögerungen vor allem bei den Unternehmensteueränderungen quantitativ erheblich ins Gewicht fallen. Die Senkung des Kör -perschaftsteuersatzes um 5 Prozentpunkte (Reform 1) führt anfänglich zu jährlichen Steueraufkommensver -lusten in Höhe von 13,8 Mrd. Euro. Im Zeitablauf hal -bieren sich diese Verluste, vor allem weil zusätzliche Investitionen zu mehr Beschäftigung, höheren Löhnen und mehr Konsum der privaten Haushalte führen, was wiederum Mehreinnahmen bei Lohn- und Konsum -steuern zur Folge hat. Die zweite Reform, eine erhebliche Verbesserung der steuerlichen Abschreibungen, führt anfänglich mit 17 Mrd. Euro zu noch höheren Steueraufkom -mensverlusten. Im Zeitablauf sinken diese Verluste jedoch, und nach erfolgter vollständiger Anpassung ergeben sich sogar erhebliche Steuermehreinnah -men von etwa 8,5 Mrd. Euro. Dabei spielt folgender Aspekt eine wichtige Rolle: Durch die Beschleunigung der steuerlichen Abschreibungen kommt es bei ge -gebenem Investitionsniveau lediglich zu einer zeitli -chen Verlagerung von Steuerzahlungen. Der Anschaf -fungswert eines Investitionsobjekts verringert den zu versteuernden Gewinn in der hier betrachteten Reform nur noch in den ersten vier Jahren nach der Anschaffung. Bei der Erhöhung der Einkommensteuer (Re -form 3) sind die zeitlichen Effekte deutlich geringer ausgeprägt. Das generierte Steueraufkommen sinkt von anfänglichen 4,9 Mrd. Euro auf etwa 3,4 Mrd. Euro in der langen Frist. Hier gibt es negative In -vestitionswirkungen, weil Personengesellschaften betroffen sind. Diese mindern den positiven Effekt der Reform auf das Steueraufkommen. Bei der Er -höhung der Umsatzsteuer (Reform 4) ergeben sich ebenfalls Anpassungen bei den Investitionen, sie sind aber deutlich geringer, daher ist das zeitliche Profil der Aufkommenseffekte deutlich flacher als bei der Änderung der Unternehmensteuern. Die Er -höhung der Umsatzsteuer um einen Prozentpunkt führt zu jährlichen Steuermehr einnahmen von 7,4 bis 7,8 Mrd. Euro. Die Kombination aus den ersten beiden Refor -men, d.h. Reduktion der Körperschaftsteuer und beschleunigte Abschreibungen, führt schließlich mit fast 30 Mrd. Euro kurzfristig zu den höchsten Steu -eraufkommensverlusten. Das ist nicht überraschend. Nach erfolgter Anpassung sind die beiden Reformen in Kombination aber (nahezu) aufkommensneutral, was die jährlichen Steuereinnahmen angeht. Die Auswirkungen der betrachteten Steuerreformen auf die Entwicklung ökonomischer Variablen wie In -vestitionen, Beschäftigung, Löhne, Konsum privater Haushalte und Bruttoinlandsprodukt sind wesent -licher Treiber der fiskalischen Wirkungen. Sie sind darüber hinaus aber auch für sich genommen wichtig. Ein zentrales Ziel von steuerlichen Entlastungen für Unternehmen besteht darin, das Beschäftigungsni -veau zu erhöhen und höhere Löhne zu ermöglichen. Abbildung 3 gibt einen Überblick über die ökonomi -schen Wirkungen nach vollständig erfolgter Anpas -sung an die Steueränderungen. Es handelt sich also um einen Vergleich von langfristigen Gleichgewichts -werten (»steady states«). Wie man erwarten würde, erhöhen die hier be -trachteten Steuerentlastungen Investitionen und Be -schäftigung und bringen einen Wachstumsimpuls mit sich. Steuererhöhungen haben erwartungsgemäß den gegenteiligen Effekt. An den Größenordnungen ist bemerkenswert, dass die Verbesserung der Abschrei -bungen deutlich stärkere ökonomische Wirkungen entfaltet als die Senkung des Körperschaftsteuer -satzes. Das hat vor allem den Grund, dass die ver -besserten Abschreibungsbedingungen sowohl die Kapitalgesellschaften als auch die Personenunter -nehmen betreffen, während die Steuersatzsenkung in der Körperschaftsbesteuerung nur Kapitalgesell -schaften entlastet. Erwartungsgemäß bringt jedoch die Kombination der ersten beiden Reformen, d.h. Senkung der Körperschaftsteuer sowie Möglichkei –10123456Investitionen Beschäftigung Lohnsumme Konsum privater Haushalte BIP 1 – Reduktion der Körperschaftsteuer 2 – Beschleunigte Abschreibungen 3 – Erhöhung des ESt-Spitzensteuersatzes 4 – Erhöhung der Umsatzsteuer Kombination 1 + 2 Betrachtet werden (1) Senkung des Körperschaftsteuersatzes um 5 Prozentpunkte, (2) beschleunigte Abschreibungen, (3) Erhöhung des Einkommensteuersatzes um 3 Prozentpunkte ab 100 000 (200 000) Euro, (4) Erhöhung der Umsatzsteuer um einen Prozentpunkt und (5) Kombination aus (1) und (2). Tabelle A2 im Anhang beschreibt die numerischen Werte. Quelle: Berechnungen der Autoren mit dem CGE -Simulationsmodell. Langfristige ökonomische Wirkung der Reformszenarien im »steady state« Veränderung in Prozent %Abb. 3

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10FINANZPOLITISCHE IMPLIKATIONEN Es ist naheliegend, aus den Ergebnissen der Analyse den Schluss zu ziehen, dass eine steuerliche Entlas -tung der Unternehmen, wenn man sie anstrebt, primär durch eine Beschleunigung steuerlicher Abschreibun -gen erfolgen sollte. Eine Senkung des tariflichen Steu -ersatzes erscheint deutlich weniger attraktiv. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass verschiedene finanzpolitisch bedeutsame Wirkungen von Steuer -satzsenkungen im hier verwendeten Simulationsmo -dell nicht oder nur sehr rudimentär enthalten sind. Vor allem abstrahiert das Modell von Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Innovationen. Eine wachsende Zahl von Studien zeigt, dass niedrigere Einkommen- und Unternehmensteuersätze mit mehr Innovationen einhergehen (vgl. Falck et al. 2021). 9 Ein zweites Argument für Steuersatzsenkungen anstelle von Abschreibungsvergünstigungen liegt darin, dass Anreize für internationale Gewinnverlagerung zur Steu -ervermeidung in erster Linie von tariflichen Steuer -sätzen und weniger von Abschreibungsbedingungen abhängen. Darüber hinaus sind Steuersatzsenkun -gen im internationalen Steuerwettbewerb dann das bessere Instrument, wenn Profitabilität und Mobili -tät von Investitionsprojekten positiv korreliert sind. Nicht zuletzt haben Steuersatzsenkungen eine starke Signalwirkung. Das mag in der ideologischen Ausein -andersetzung eine Einigung erschweren, für interna -tional mobile Investoren wäre die Signalwirkung für den Standort Deutschland aber hilfreich. Allerdings blendet das Modell auch Aspekte aus, die die Präferenz für beschleunigte Abschreibungen verstärken. Fiskalisch haben sie den Vorteil, dass sie Steuerzahlungen in die Zukunft verschieben, statt sie endgültig zu senken. Gerade in der aktuellen wirt -schaftlichen Lage, in der sich der deutsche Staat zu negativen Zinsen verschulden kann, die meisten Unternehmen aber positive Kapitalkosten haben, ist die Gewährung verbesserter Abschreibungen, zumin -dest für einige Jahre, zum unmittelbaren beidseitigen Vorteil. Um einen größeren Wachstumsimpuls zu set -zen, könnte die Politik Steuersatzsenkungen mit beschleunigten Abschreibungen kombinieren. Lang -fristig wäre das Steueraufkommen nicht niedriger als ohne die Reform, für eine Übergangszeit gibt es allerdings Steuerausfälle. Diese wären als Investition des Staates anzusehen, um künftig höhere Löhne, mehr Beschäftigung und ein höheres Konsumniveau zu ermöglichen. Was sind die Implikationen der Ergebnisse zu den Erhöhungen der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer? Eine Politik, die höhere Steuerein -nahmen erzielen und gleichzeitig Wachstum und 9 Akcigit et al. (2019, S. 1) etwa fassen ihre Ergebnisse so zusammen: »We find that taxes matter for innovation: higher personal and corpo -rate income taxes negatively affect the quantity and quality of inven -tive activity and shift its location at the macro and micro levels.« Beschäftigung möglichst wenig belasten will, sollte eher die Umsatzsteuer einsetzen, als zu versuchen, das Aufkommen durch höhere Spitzensätze bei der Einkommensteuer zu erheben. Der Preis dieser Poli -tik besteht allerdings darin, dass die Umsatzsteuer regressiv wirkt. Die negativen Effekte der Einkommen -steuererhöhung auf Löhne und Beschäftigung zeigen allerdings, dass höhere Spitzensätze bei der Einkom -mensteuer, da sie auch mittelständische Unterneh -men und die dortigen Arbeitsplätze treffen, weniger progressiv wirken könnten als häufig behauptet. Ver -teilungsaspekte werden in unserer Simulationsana -lyse ebenso ausgeblendet wie wirtschaftliche Folgen der Heterogenität von Haushalten und Unternehmen. Unsere Ergebnisse sind im Lichte dieser Prämissen und der Grenzen des verwendeten Modells zu inter- pretieren. LITERATUR Akcigit, U., J. R. Grigsby, T. Nicholas und S. Stantcheva (2019), »Taxation and Innovation in the 20th Century«, NBER Working Paper 24982. Blum, J., T. Büttner und N. Potrafke (2020), »Belastung durch Unter -nehmensteuern in Deutschland senken Œ ist das der richti ge Weg ?«, ifo Schnelldienst 73(4), 56Œ59.Bündnis‚90/Die Grünen (2021), Deutschland. Alles ist drin, Wahlprogramm zur Bundestag swahl 2021. CDU/CSU (2021), Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemein-sam für ein modernes Deutschland, Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021. Chirinko, R. S . (2002), »Corporate Taxation, Capital Fo rmation, and the Substitution Elasticity betwe en Labor and Capital«, National Tax Journal 55(2), 339Œ355.Cingano, F. (2014), »Trends in Income Inequality and it s Impact on Eco -nomic Growth«, OECD Working Paper (163). Cummins, J. G., K. A. Hassett und R. G. 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