Margareth Lanzinger, „als Curatoren zu verpflichten und denen- [Online: ].

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PoliceyWorkingPapers 6 (2003) WORKING PAPERS DES ARBEITSKREISES POLICEY/POLIZEI IM VORMODERNEN EUROPA Herausgegeben von André Holenstein (Bern), Fran k Konersmann (Bielefeld), Josef Pauser (Wien) und Gerhard Sälter (Berlin) Margareth Lanzinger „ALS CURATOREN ZU VERPFLICHTEN UND DENENSELBEN EINFOLGLICH DIE GANZE HAUS MANEGA ZU ALL-SEITIG BESSERER ERSPRISLÖSKEIT ANZUVERTRAUEN“ Haushalten als Handlungskonzept in prekären Situationen 2003

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Zitiervorschlag: Margareth Lanzinger, „als Curatoren zu verpflichten und denen- selben einfolglich die ganze Haus Manega zu allseitig besserer Ersprislöskeit anzuvertrauen“. Haushalten als Handlungskonzept inprekären Situationen (= Police yWorkingPapers. Working Papers des Arbeitskreises Policey/Polize i in der Vormoderne 6), 2003 [Online: ] Autor: Margareth Lanzinger , Wien margareth.lanzinger@univie.ac.at Margareth Lanzinger, 2003

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1. Von der Kuratel ins Ausgedinge Das* Titelzitat stammt aus einem Protokoll des Gerichtes Heinfels vom März 1764. Darin werden unter ande rem drei Kuratoren bestellt, wel- chen in der Folge die Führung des Hauswesens übertragen wird. Die- ser Akt repräsentiert einen Zwischen schritt an Maßnahmen im Fall des Thomas Khüepacher vom Geisenhof am Innichberg, der sowohl aus der Sicht seiner sozialen Umwelt als auch der Obrigkeit im Begriff war, sein Hab und Gut durch übermäßigen Trunk zu gefährden. Die Vorgeschichte: Bereits 1758, se chs Jahre zuvor, stand die Situati- on am Geisenhof zur Debatte. Aus den Reihen der lokalen Bauern be- stimmte Gerichtsvertreter hatten eine —mehr als pflichtmäßige anzeigefi gemacht, dass Thomas Khüepacher —mitlst übermäßigen Trunk aso in Schulden versunkhen, daß bey solich fürthausenden Umbständen Haus und Hof längers erhalten und die hierauf haftenden Zins Steuern und andere obla- gen angehörig entrichtet wie nicht minder Weib und Kindt mit gebührendem Unterhalt und Claidung versöchen werden kunten, hier unmögliche Sach seyn.fi 1 Wie dem Protokoll weiter zu entnehmen ist, wurde dem Œ nach wie vor —Ehrsame [n] fi Œ Thomas Khüepacher ernstlich ins Gewissen ge- redet, seinen Lebenswandel zu ändern, und für den Fall dass er sich nicht bessern sollte, seine Überstellung in das Innsbrucker Zuchthaus angedroht. Schließlich, nachdem selber —schlechte specimina [Proben, Beweise, M. L.] einer fürsatzlichen Bösserung von sich gegeben hatfi ,2 kam man im Gericht Heinfels zum Schluss, ihm drei Kuratoren beizustellen und diesen —die ganze Haus Manega zu allseitig besserer Ersprislöskeit an- zuvertrauenfi .3 Die drei 1764 genannten Kuratoren waren ebenfalls Bauern vom In- nichberg, einer aus 28 Streuhöfen bestehenden Gemeinde am sonnseiti- gen Hang oberhalb des Südtiroler Marktes Innichen. Kirchlich gehörte der Innichberg zur Pfarre des Marktes, gerichtlich war er aber bis 1806 davon getrennt und unterstand dem Landgericht Heinfels. 4 Bei zwei * Dieser Beitrag ist die überarbeitete Fassu ng des im Rahmen des 4. Arbeitstreffens das Arbeitskreises —Policey/Polizei im vormodernen Europafi im Mai 2001 Œ zum Thema: —Gute Policeyfi und —Oeconomiafi. Haushalten als Handlungskonzept in sozialen Räumen Œ in Stuttgart-Hohenheim präsentierten Papers. 1 Tiroler Landesarchiv (TLA) Innsbruck, Verfachbuch Heinfels (VBH) 1758, Akt Nr. 331. 2 Ebd. 3 TLA Innsbruck, VBH 1764, Akt Nr. 157. 4 Das Pfleggericht Innichen fiel mit dem Markt zusammen und spiegelt in dieser For- mation eine rechtlich etwas spezifische Situat ion wider, insofern als es bis zur Säkula-

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Margareth Lanzinger PoliceyWorkingPapers 6 (2003) 2 der Kuratoren handelte es sich um die bereits erwähnten Gerichtsver- treter: Andreas Küepacher war —obrigkeitlicher Gerichtsanwalderfi , Georg Mayr —Gerichtsverpflichterfi , der dritte, Gregor Wistaller, hatte einen der steuerlich am höchsten eingestuften Höfe inne. 5 Im Dezember des Jahres 1767 wurde die Sache erneut verhandelt und ein Vermögensüberblick erstellt. Man kam dabei zum Schluss, dass Thomas Khüepacher nach wie vor —seine Hauswirthschaft nicht al- lerdings am besten fortzuführen in dem Stand sich befindefi .6 Das Kuratoren- System scheint nicht die gewünschten Effekte erzielt zu haben. Es wur- de nämlich konstatiert, dass —die anseitige Hauswirthschaft immerhin ver- schlechtert wordenfi sei. So war eine Alternative gefragt. Die Angelegen- heit fand schließlich durch die Über tragung des Besitzes an den jünge- ren Bruder Joseph Khüepacher im Tausch gegen eine Grundversor- gung am Hof für den Vorbesitzer un d dessen Familie ihren Abschluss. Dadurch sollten so viele Außenstände wie möglich vor Fälligkeit der Schulden noch ins Lot gebracht werden, 7 und ganz allgemein verhoff- ten sich alle Beteiligten davon einen Nutzen für die —Grundt- und Güeter gelögenheitfi .8 Eine Reihe von Aspekten dieses Fall es betreffen direkt den Haushalt und das Haushalten: Das Trinken hatte merkliche Folgen auf das Füh- ren der Hauswirtschaft sowie auf Ha us und Hof als Wirtschaftseinheit. Verschiedene Strategien zur ökonomischen Absicherung kamen zum Einsatz. Die Geschichte endete mit einem massiven Eingriff in die be- stehende Haushaltskonstellation, in folge dessen schließlich ein neues Arrangement getroffen wurde. In diesem Zusammenhang fällt ange- sichts der ansonsten eher trocken und formelhaft gehaltenen Sprache auf, dass in der Passage, die den Akt der Besitzübertragung mittels Verkauf betraf, vom —freindlich geliebten Bruder Joseph Khüepa- cher [Sperrung M. L.] fi die Rede ist. Dies ka nn als ein Hinweis in die Richtung gelesen werden, dass der hier vollzogene Rollen- und Positi- risierung und zur Aufhebung des Marktgerichtes im Jahr 1806 als letzter Rest eines ursprünglich ausgedehnteren freisingische n Herrschaftsgebietes gewissermaßen eine Enklave darstellte. Nach den sogenannten —napoleonischen Wirrenfi Œ das Gebiet ge- hörte zwischendurch zum Königreich Illyrien Œ wurde es ebenso wie das Landgericht Heinfels/Sillian dem Landgericht Lienz zugeordnet. 5 Vgl. Steueranlag vom Innichberg und Vierschberg, Bezirksheimatmuseum Schloss Bruck (BHM) Lienz, Oberforscher Regesten (OR) III 2, VBH 1767 VII 18, fol. 269. 6 TLA Innsbruck, VBH 1767, Akt Nr. 327. 7 Der übliche Zahltag zumindest für Zinse n aus Kapitalien war Candidi Œ Candidus war der lokale Stiftspatron Œ am 23. Mai. 8 TLA Innsbruck, VBH 1767, Akt Nr. 327.

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Haushalten als Handlungskonzept http://www.univie.ac.at/po licey-ak/pwp/pwp_06.pdf 3 onswechsel im Haus nicht ganz un problematisch gewesen sein dürfte: Thomas Khüepacher hatte 1748 mit 21 Jahren als ältester Sohn 9 ver- gleichsweise jung in den Hof eingeheiratet, 10 nachdem sein Vater im Frühjahr 1743 Œ es war dies ei n Epidemiejahr Œ gestorben war. 11 Zwi- schen 1748 und 1767 kamen neun Kind er zur Welt, von denen nach den Angaben anlässlich des Todes der Mutter vier am Leben blieben. 12 Jo- seph Khüepacher, 1732 geboren, war dessen nächstjüngerer Bruder, bis zur genannten Hofübernahme ledig, Beruf ist keiner angeführt. Für ihn stellte der oben skizzierte Lauf der Dinge eine unerwartete Chance dar, zu einer eigenen Existenzgrundlage zu kommen. Sowohl der Akt der Bestellung vo n Kuratoren als auch die Besitz- übergabe an den Bruder sind nicht einseitig als von Seiten der Obrig- keit autoritär gesetzte Verfügunge n zu sehen, sondern das Ergebnis von Vermittlungs- und Aushandlungsprozessen. Auch die in Hinblick auf den abgesetzten Bruder getroffe nen Vereinbarungen selbst lassen das Anliegen eines auf einen mode raten Ausgleich be dachten Umgangs mit dieser Situation erkennen: Dem Thomas Khüepacher und seiner Familie blieb die —lebelängliche Herberg mit Einraumung einer sonderbah- ren Khamerfi , eine Versorgungsform die in der Regel vornehmlich für Witwen vorgesehen war. 13 Den Kindern wurde im Falle von Krankheit und für dienstlose Zeiten —die heimbete Zuflucht Francofi zugestanden. Schließlich konnte er den hofeigen en Wald für das zum Heizen not- wendige Holz nutzen. 14 Diese Art des üblicherweise als —Ausgedingefi bezeichneten Ver- hältnisses Œ Definition: —Uebergabe der Bauerngüter unter Lebenden mit Vorbehalt bestimmter Genüsse für den Uebergeber, oder für andere 9 Beim Tod des Vaters sind fünf Kinder angegeben: Thomas 16, Josef, Michael, Maria und Ursula, die beiden älteren Brüder Ni kolaus und Georg waren zu dem Zeitpunkt folglich nicht mehr am Leben; vgl. BHM L ienz, OR III 4, VBH 1743 VI 12 sowie Stifts- archiv (STA) Innichen, Familienbuch angefangen vom Jahre 1700 (Familienbuch 1700), fol. 388. 10 Das durchschnittliche Heiratsalter in de n beiderseitig ersten Eheschließungen lag für Männer in der Pfarre Innichen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei 26,4, in der zweiten Hälfte bei 30 Jahren, für Frauen bei 25,9 beziehungsweise 28,5 Jahren; be- rechnet aus der Familiendatenbank 1700Œ1900, erstellt auf Basis von STA Innichen, Familienbuch 1700 und Datenergänzungen au s den dortigen Matrikenbüchern; vgl. auch M ARGARETH LANZINGER , Das gesicherte Erbe. Heirat in lokalen und familialen Kontexten, Innichen 1700Œ1900, Wien/Köln/Weimar 2003, 133f. 11 Vgl. STA Innichen, Liber mortuorum, Tomus I, 1582Œ1743, unter dem 28. März 1743. 12 Vgl. BHM Lienz, OR III 2, VBH 1774 II 23, fol. 176. 13 Vgl. L ANZINGER , Erbe, 276ff. 14 TLA Innsbruck, VBH 1867, Akt Nr. 327.

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Margareth Lanzinger PoliceyWorkingPapers 6 (2003) 4 Personen, vorzüglich aber für Angehörige []fi 15 Œ geht in den hier an- geführten Details auf die Tiroler Landesordnung zurück. Der Kommen- tar dazu lautete: —Zu dieser Einricht ung läßt sich eine aus Sanität- und polizeiliche Motiven sehr empfehlens werthe, heilsame Vorsorge für die Angehörigen nicht verkennen. Durch selbe kann dem Besitzer ebenfalls kein Nachtheil gebracht werden, wenn die Lasten und Leistungen hier- bei gehörig angeschlagen, und darnach die Uebernahmpreise der Güter regulirt werden.fi 16 Soziales Handeln Œ und das konstituiert gewisser- maßen ein Grundprinzip des Haushaltens Œ ist an ökonomische Trag- fähigkeit geknüpft. 2. Konzepte und Kontexte Solch drastische Maßnahmen, die bis zum Verlust des Be sitzes führten, setzten die Obrigkeiten des Landgerichts Heinfels beziehungsweise des Pfleggerichts Innichen relativ selten. 17 Bei diesem und bei den im Fol- genden untersuchten, insgesamt recht unterschiedlich gelagerten Fällen handelt es sich daher um das sp richwörtliche —außergewöhnlich Nor- malefi. Dieses von Edoardo Grendi 18 geprägte Wortspiel baut —auf der Abweichung [], nicht auf der Analogiefi auf: 19 Gerade außergewöhnli- che Situationen und Vorgangsweisen Œ nicht gleichzusetzen mit spek- takulär Œ vermögen aus einer mikroh istorischen Perspektive gleichzei- tig Auskunft über das alltägliche Spektrum an Handlungsrepertoires und damit auch über lebensweltliche Relevanz und dahinterstehende Konzepte zu geben. Ihre Bedeutung und Reichweite lässt sich durch ei- ne breitere Kontextualisierung rekonstruieren. 20 Wichtige Kontexte im 15 Zit. n. J OHANN GEORG WÖRZ, Gesetze und Verordnungen in Bezug auf die Kultur des Bodens in der Provinz Tirol und Vorarl berg, Innsbruck, Bd. 2, Teil 1, 125f. 16 Ebd. 127. 17 Ein entsprechender Überblick für das 18. Jahrhundert konnte auf Basis der im Be- zirksheimatmuseum Schloss Bruck liegende n Oberforcher Regesten der Verfachbü- cher, die unter anderem die Besitztransfers enthalten, gewonnen werden. Diese Da- ten wurden im Rahmen des Dissertationsprojektes in eine Familiendatenbank integ- riert. Vgl. L ANZINGER , Erbe, 46ff. 18 Vgl. E DOARDO GRENDI , Micro-analisi e storia sociale, in: Quaderni Storici 35 (1977), 506Œ520, 512: —[–] in questa situazione il documento eccezionale può risultare ecce- zionalmente ‡normale‚ [ –]fi. 19 C ARLO GINZBURG , Mikro-Historie. Zwei oder drei Di nge, die ich von ihr weiß, in: Historische Anthropologie 1, 2 (1993), 169Œ192, hier 191. 20 Vgl. G IOVANNI LEVI, On Microhistory, in: P ETER BURKE (Hg.), New Perspectives on Historical Writing, Cambridge 1992, 93Œ113, hier 106f; zum Konzept der Handlungs-

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Margareth Lanzinger PoliceyWorkingPapers 6 (2003) 6 gab es, wie fast zu erwarten war, Auseinandersetzungen zwischen der Gemeinde und dem bauwilligen Joha nn Zeberle, einem k.k. Wegmeis- ter. Er erhielt den Baugrund sch ließlich 1779 auf Innsbrucker —Guber- nial-Befehlfi hin bewi lligt, nachdem dort —die von der burgerschaft zu In- nichen anher gemelte Vorstellungfi in diesem Punkt für —keines wegs rück- sichtswürdigfi erachtet wurde. 24 Einen Interpretationsrahmen für die auf die Stabilität der Häuserzahlen gelegte Vehemenz kann das Interesse an der Beibehaltung der bestehen den lokalen sozioökonomischen (Be- sitz-)Strukturen Œ über Generationen hinweg Œ und an der Absicherung des Umfanges an kommunalen Nutzungsrechten bieten. Gewissermaßen in Ergänzung dazu war auch die Position gegen- über Güterteilungen auf dem bäuerlichen Sektor restriktiv. Landesin- tern gab es diesbezüglich zwar eine unterschiedliche Handhabung zum Teil nach ethnischen Zugehörigkeiten, also auch Regionen, in denen Teilbarkeit des Besitzes zwischen den Geschwistern das Erbmuster be- stimmte.25 Das Pustertal und damit Innichen zählten aber zu den Aner- bengebieten. Eine rechtliche Grun dlage für Besitzteilungen war auch hier vorhanden, und zwar jene immer wieder zitierte Passage aus der Tiroler Landesordnung, die erlaubt, den Besitz zu teilen, falls —ain Hof oder Gut so ansechlich wäre, das der Pawman seiner Kinder mer dann ains darauf Setzen, oder Verheyraten möchtfi. 26 Doch war im grundherrlichen Kontext von dieser permissiven Halt ung nicht viel zu merken: Im 20. und letzte Punkt der —Freistifts Ordnung aines Ehrwürdigen Capitls zu In- nichingfi aus dem Jahr 1555 wurden weitere Teilungen der Güter —nit al- lein schedlich und nachtailig, sondern verderblichfi erachtet und in der Fol- ge verboten. 27 Am Innichberg blieb die Zahl der Höfe ab 1700 bis ins ausgehende 19. Ja hrhundert stabil. Aufzeichnungen bis 1850 reichen. Die gleichbleibende Zahl der Häuser lässt sich auch aus den Kaufs- oder Erbtransaktionen rekonstruieren. 24 TLA Innsbruck, VBI 1781, fol. 881. Der zitierte Antwortbrief aus Innsbruck ist hier ei- nem späteren Akt beigelegt. Daraus geht auch hervor, dass die Gemeindevertreter als ‡Abwimmelungsstrategie‚ dies en Baugrund als für einen Schulbau vorgesehen dekla- rierten. Ausführlicher zu diesem Themenkomplex vgl. Lanzinger, Erbe, 171ff. 25 Freiteilbarkeit galt etwa in den zwei rä toromanischen Tälern, Gadertal und Gröden- tal, im Weiteren im Vintschgau im Westen des heutigen Südtirol, im Oberinntal und im Paznauntal sowie im sogenannten Welschtirol. 26 Tiroler Landesordnung, Buch V, Tit. 3, zit. n. W ÖRZ, Gesetze. 27 STA Innichen, Freistifts Ordnung aines Ehrwürdigen Capitls zu Inniching 1555, ohne Nr., zit. n. O SWALD STROBL, Geschichte des Kollegiatkapitels Innichen von 1690 bis 1785, Dissertation Innsbruck 1973, 395. Pier Paolo Viazzo vertritt in diesem Zusam- menhang das Prinzip der —viabilityfi: Als zentrales Kriterium gilt die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Haushaltes, welchem Œ seiner Ansicht nach Œ in alpinen Gesell-

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Haushalten als Handlungskonzept http://www.univie.ac.at/po licey-ak/pwp/pwp_06.pdf 7 Teilung von Gütern wurde im Laufe der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert in dieser Region in gelehrten und gesetzgeberischen Diskursen immer wieder als Schreckgespenst gezeichnet; entsprechen- de Verbote fanden auch auf Landesebene einen gesetzlichen Nieder- schlag.28 Die ungeteilte Weitergabe dominierte die lokale Praxis in Inni- chen auch tatsächlich. Doch wurde in einzelnen Fällen anders entschie- den, wenn auch eher in Richtung des gemeinsamen Besitzes als einer Teilung. Für den Markt und seine Bürgerinnen und Bürger galt in die- ser Hinsicht auch grundsätzlich eine freiere Handhabung als im bäuer- lichen Umfeld. 29 Reinen Besitzgrößen kam darüber hinaus aufgrund der agrarisch-handwerklich-gewerblichen Mischökonomie kein absolut zu setzenden Stellenwert zu. Erwies sich aber die vorhandene Exis- tenzgrundlage als nicht ausreichend für zwei Besitzer Innen, entschied das Pfleggericht auch gegen eine solche letztwillige Verfügung. 30 schaften angesichts enger naturräumliche r Grenzen ein besonderes Gewicht zu- kommt. Teilungen widersprechen aus dies er Sichtweise gewissermaßen einem öko- logischen Imperativ. Vgl. P IER PAOLO VIAZZO , Upland Communities. Environment, Population, and Social Structure in the Alps since the Sixteenth Century, Cambridge 1989, 226ff. 28 Vgl. z.B. Dekret vom 14. August 1731, erlassen für den Tiroler Raum, und zwar wur- de sie —vorzüglich darum für nöthig erachtet, damit die Vorschrift wegen der künftig nicht mehr so leicht zuzulassenden Grundz erstückelungen auch von den Grundher- ren befolgt werde []fi, zit. n. W ÖRZ , Gesetze, 22, vgl. auch eine Reihe nachfolgender Dekrete. Es gab weitere Verbote der Güterteilung von 1750 und 1770 sowie Ansätze zur Güterzusammenlegung von 1748; vgl. G EORG MÜHLBERGER , Absolutismus und Freiheitskämpfe (1665Œ1814), in: Geschichte des Landes Tirol, Bd. 2, Bozen 19982, 290Œ579, 318. Pier Paolo Viazzo spricht für den österreichischen Raum den Grundher- ren ein Interesse an der Unteilbarkeit der Güter und eine ablehnende Haltung gegen- über dem Bau von Häusern zu, da aus größeren Einheiten mehr an Einnahmen zu er- zielen war. Auch den entsprechenden gesetz lichen Niederschlag sieht er in diesem Kontext; vgl. V IAZZO , Upland Communities, 265. 29 Vgl. z.B. Gedruckte Gubernialkundmachung, Innsbruck, 14. Oktober 1788, Nr. 15525, zit. n. W ÖRZ , Gesetze, 117. 30 Der Tischler Dominikus Paur verfügte zum Beispiel, dass seine zwei jüngeren Söhne Peter und Andreas, beide ebenfalls Tischler , seine Hinterlassenschaft, das halbe Haus in der Schuelergasse, gemeinsam erben sollten, wobei ein Augenleiden des älteren von beiden eine Rolle bei dieser Entscheidun g gespielt haben dürfte. Doch lagen die Schulden nach der Vermögensschätzung mit Inventar und nach Auf- und Abrech- nung der —Schulden hereinfi und —Schulden hinausfi höher als die Aktiva. Bei dieser Gelegenheit verwies das Gericht auch dara uf, dass ein halbes Haus nicht zwei ge- meinsame Besitzer haben dürfe. Das Erbe ging Œ entgegen dem väterlichen Willen Œ an Peter Paur allein. Vom ältesten Sohn Joseph war zuletzt Triest als Aufenthaltsort bekannt als Angabe über dessen Verbleib an lässlich des Todes der Mutter; vgl. BHM Lienz, OR III 2, VBI 1772 I 28, fo l. 172. Als Erbe ging er leer aus, nachdem er —bereits über zechn Jahr abwesend und seine Ältern nicht einmahl mit einem Schreiben wir-

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Margareth Lanzinger PoliceyWorkingPapers 6 (2003) 8 Gleichzeitig galt Œ faktischer oder in Aussicht stehender Œ Hausbe- sitz als kaum zu hintergehende Vo raussetzung für Heiratsfähigkeit. Der sozioökonomische Stellenwert von Besitz und des Zugangs zu Be- sitz war damit bereits hinlänglich bestimmt. Auf eine gesetzliche Basis gestellt wurde dies 1820 mit Einf ührung des sogenannten Politischen Ehekonsenses. Ein heiratswilliges Paar musste eine Bestätigung von Seiten der Gemeinde vorlegen, dass es über ausreichend Besitz verfüg- te, um eine Familie erhalten zu können Œ in der Regel war hier Hausbe- sitz gefordert. 31 Derartige Vorgaben finden sich auch schon in Maria Theresianischen Bestimmungen ebenso wie in früheren Dorfordnun- gen.32 2.2. Denken in Linien Ein weiterer, für das Ve rständnis der geschilderten Abläufe wichtiger Kontext, auf den Vertragsformeln, Gerichtspraxis und Handlungsopti- onen gleichermaßen hinweisen, geht in die Richtung, dass Œ vor allem ererbter Œ Besitz als ein Gut gedach t wurde, das die Inhaber für ihre Nachwelt, also für Erben und deren Erben verwalten. Eine Komponen- te dieses Denkens in Linien konstitu iert das grundsätzliche Bestreben, Bestehendes zu erhalten. Der Erhalt innerhalb einer Linie ist auch rechtlich abgestützt und kam bei der Lösung des Problemfalles Khüe- pacher zum Tragen. Eine Bestimmung aus dem Jahr 1770 gibt diesbe- züglich sehr explizit Anweisungen: —Wenn nach allschon erlangter be- sitzlicher Einsetzung sich zeigen wurde, dass der Besitzer dem Trunk und müssigen Leben nachhange, ei n Verthuer und kein guter Wirth sey, folgbar seinen durch Besitz er langten Vortheil übel anwende, und in schuldbares Verhausen gerathe, [. ..] [k]eineswegs aber, Zwölftens, einem solchen, oder einem andern um Gewinn willen das väterliche digetfi; vgl. Archiv der Familie Oberhofer, Innichen, Testamentserweiterung vom 15. März 1771, zit. n. H ERMANN ROGGER , Handwerker und Gewerbetreibende in Inni- chen seit dem 17. Jahrhundert. Ein Beit rag zur Familien- und allgemeinen Sozialge- schichte dieses Hochpustertaler Marktfleckens, Dissertation Innsbruck 1986, 93, Anm. 7; BHM Lienz, OR III 2, VBI 1771 III 15, fol. 528. 31 Allgemein dazu vgl. E LISABETH MANTL, Heirat als Privileg. Obrigkeitliche Heiratsbe- schränkungen in Tirol und Vorarlberg 1820Œ1920, München 1997; vgl. auch: M ARGA- RETH LANZINGER , —Der Bittsteller hat vorerst seinen Hausbesitz nachzuweisen fi. Heirat in lokalen und familialen Kontexten. Innichen 1700Œ1900. Projektbericht, in: Geschichte und Region / Storia e regione 10, 1 (2001), 85Œ107. 32 Vgl. F RANZ GRASS , Pfarrei und Gemeinde im Spieg el der Weistümer Tirols, Inns- bruck 1950, 45f.

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Haushalten als Handlungskonzept http://www.univie.ac.at/po licey-ak/pwp/pwp_06.pdf 9 Gut zu verkaufen, und in fremde Hände zu lassen zustehen, sondern solches den übrigen Söhnen nach dem Alter und Tauglichkeit [], um den nämlichen Preis, wie es an dem Besitzer gekommen, eingeraumet werden solle.fi 33 Eine Intervention im Falle von ruinösem Haushalten ist hier von obrigkeitlicher Seite eindeutig vorgesehen. Im Vergleich dazu konstatiert Ac him Landwehr für sein Untersu- chungsgebiet, dass dem —Hausvaterfi im Normalfall —in seinem ‡Herr- schaftsbereich‚ weitgehend freie Ha nd gelassen [wurde], auch wenn dies mit einem wirtschaftliche n Niedergang verbunden warfi. 34 Nur dann, wenn auch Gewalttätigkeiten mi t im Spiel waren, konnte die Ob- rigkeit gegen diesen vorgehen. Entsprechend formuliert mussten daher die Klagen beziehungsweise die Ar gumentationen im Verfahren sein, damit sie erfolgreich sein konnten. In Tirol Œ zumindest in Gebieten mit Anerbenpraxis Œ liegt offen- sichtlich eine andere Situation vor, die von einem auf Nachkommen zentrierten Metakonzept des Besitzes geprägt ist. 35 Dadurch wurde Vernachlässigung der damit verbun denen Pflichten primär zu einem ‡Vergehen‚ gegenüber den Erben un d der Nachwelt. Durch diesen do- minant an Linien orientierten Ko nnex war schlechtes Haushalten als Problemfeld und ‡Hausen‚ generell stärker von der Ehe abgespalten, auch insofern als eheliche Gütertrennung Œ gewissermaßen als Pendant zum Denken in Abstammungslinien Œ herrschte. Die vielfältigen situativen Bede utungen von —Hausenfi, die David Sabean in seiner Studie anführt, weisen so auch andere Nuancierungen gegenüber dem Gebrauch des Begriffe s in Innichner Material auf. In 33 Patent vom 11. August 1770, zit. n. W ÖRZ , Gesetze, 46. 34 A CHIM LANDWEHR , Policey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Policey- ordnungen in Leonberg, Frankfurt a. M. 2000, 201. 35 Die Sicherung des Erbes für Nachkommen al s wichtiger Aspekt wird auch von kirch- licher Seite mitgetragen. Dieser Punkt galt beispielsweise auch als Begründung, um Dispens von Ehehindernissen der nahen Verwandtschaft und Schwägerschaft erlan- gen zu können. Entsprechende Ansuchen au s der Diözese Brixen sind allerdings nur ab 1830 erhalten. In einem langwierigen Verfahren mit mehreren Anläufen brachte einer der Zeugen als beispiels weise als Begründung vor: —Vermög gerichtlicher Abhand- lung hat sich herausgestellt, daß der Sohn des verstorbenen Anton Hernegger und der Bitt- stellerin das Anwesen seines Vaters vermöge vieler Schulden nicht behaupten und die Wirthschaft darauf nicht fortführen könne, we nn aber dessen Onkel, Alois Hernegger, die Mutter obigen Sohnes, die Rosa Degetz heurat hen kann, so kann auch mit Hilfe des Vermö- gens des Onkels Alois Hernegger, welcher zum Theile im Betrage von 1.500 fl schon in dieser Wirthschaft liegt, das Anwesen hier dem Sohn erh alten, die Wirthschaft ordentlich fortgeführt und mit der Zeit dem Sohne übergeben werden.fi Dieses Argument hat letztendlich einen positiven Ausgang begründet. Diözesanarchiv Brixen, Konsistorialakten 1856, Fasz. 5, A Römische Dispensen.

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