Menschen in der Kommune konsultiert werden sol- len, das heißt welches konkrete zept-Partizipation-in-der-stationären-Kinder-und-Jugendhilfe.pdf.
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2Wie können ge˜üchtete Kinder und Jugendliche in der Kommune stärker beteiligt werden? Dieser Fachbeitrag stellt das Beteiligungsverständnis im Programm —Willkommen bei Freun -den Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi anhand der Methode —Konsultationsworkshops mit jungen Ge˜üchtetenfi vor. Konsultationsworkshops haben das Ziel, die Perspektive ge˜üchteter Menschen in Planungsprozesse einzubinden und können ein erster Schritt zu ihrer Beteili -gung in der Kommune sein. Anhand von Erfahrungen aus der kommunalen Praxis geht dieser Fachartikel auf Chancen und Herausforderungen von Konsultationsworkshops ein, stellt die zentralen Aussagen der jungen Menschen aus den Workshops vor und formuliert abschließend Empfehlungen für die praktische Umsetzung. Fachbeitrag Veränderungen gemeinsam gestalten Œ geflüchtete Jugendliche in der Kommune konsultieren Grundverständnis Beteiligung und Empowerment Konsultationsworkshops im Programm —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi Aussagen junger Geflüchteter in den Konsultationsworkshops Argumente für einen Konsultationsworkhop Handlungsempfehlungen & Reflexionsfragen 3 581314Inhalt www.willkommen-bei-freunden.de/downloads
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3Ge˜üchtete junge Menschen haben ein Recht auf Beteiligung Œ genauso wie alle anderen Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland leben. Dieses Recht ist unter anderem in der UN-Kinderrechtskonvention und im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) ver -ankert. Laut aktuellem Koalitionsvertrag sollen die Kinderrechte außerdem ins Grundgesetz aufgenom -men werden. Um das Recht auf Beteiligung in Kommunen um -zusetzen, arbeitet das Programm —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi mit ei -nem Beteiligungsmodell, das das Empowerment von ge˜üchteten Jugendlichen und jungen Erwachsenen (—bottom upfi) mit der Verankerung von Beteiligung in den Regelstrukturen (—top-downfi) verbindet. 1—Top-downfi: Verankerung von Beteiligung in kommunalen Regelstrukturen Neben der rechtlichen Vorgabe gibt es für Kommu -nen zahlreiche weitere Anreize zur Partizipation: Viele möchten durch Beteiligung passgenauere An -gebote planen, Bindekrä˚e im ländlichen Raum ent -wickeln, demokratische Kompetenzen stärken oder Integration und Inklusion fördern. Mit dem Begriff —Partizipationfi verbinden sich ganz unterschiedliche Vorstellungen. Die folgenden drei Dimensionen (nach Waldemar Stange) von Beteili -gung lassen sich unterscheiden: ŁFehlformen der Beteiligung (zum Beispiel Fremdbestimmung, Dekoration, Alibi-Teilhabe), ŁBeteiligung (zum Beispiel Information, Engagement, Konsultation, Mitbestimmung) undŁSelbstbestimmung und -verwaltung. 2 Grundverständnis Beteiligung und Empowerment Programm —Willkommen bei Freundenfi botom-up top-down Partizipation bedeutet, Entscheidungsmacht zu tei -len. Deshalb ist es wichtig, nicht nur Jugendliche, sondern auch erwachsene Verantwortliche vor Ort in den Prozess einzubinden. Denn bei Partizipation ge -˜üchteter junger Menschen in der Kommune geht es nicht um einzelne Jugendprojekte. Stattdessen ist ein Entwicklungsprozess für die ganze Kommune und die vor Ort lebende Gesellscha˚ gemeint. Für einen erfolgreichen Beteiligungsprozess ist es hilfreich zu prüfen, welche der oben genannten Be -teiligungsdimensionen eine Kommune ge˜üchteten jungen Menschen anbieten kann. Dafür sollte im ers –
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4ten Schritt geklärt werden, welche Entscheidungs -spielräume und Ressourcen es in der Kommune gibt. Nur wenn vorher klar ist, welche Beteiligungsforma -te vor Ort möglich sind, wissen alle Beteiligten von Beginn an, was sie erwarten können. —Bottom-upfi: Empowerment geflüchteter JugendlicherEmpowerment 3 bedeutet übersetzt Ermächtigung. Im Begriff steckt das englische Wort Power, für Macht. Dabei geht es um Macht auf verschiedenen Ebenen: individuell, kollektiv und strukturell. Das kann zum Beispiel der Zugang zu Informationen und Ressourcen sein, zu politischer Entscheidungs -macht/Ein˜ussnahme oder auch zu De˛nitions -macht. Empowerment verbindet die verschiedenen Ebenen von Macht und zielt auf die (Selbst-) Ermäch -tigung von Menschen, die von Marginalisierung oder Diskriminierung aufgrund gesellscha˚licher Macht -verhältnisse betroffen sind. Aber auch Menschen aus privilegierten gesellscha˚lichen Positionen kön -nen ihre strukturelle Macht und ihre institutionel -len Zugänge zu Ressourcen wie Programm˛nanzen oder Räumlichkeiten teilen und für gesellscha˚liche Veränderungen im Sinne von Empowerment nutzen. Hierfür wird auch der Begriff —Powersharingfl ver -wendet. Die historischen Wurzeln des Begriffs Empowerment liegen unter anderem in den Befreiungsbewegungen kolonialisierter Länder, in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der feministischen Be -wegung seit den 1960er Jahren. Allen gemeinsam waren die folgenden Ziele: Łein gemeinsames politisches Bewusstsein durch Bildungsarbeit zu entwickeln, Łdie Selbstorganisation und Vernetzung mit Ver- bündeten voranzutreiben Łgemeinsam politische und soziale Aktionen durchzuführen. In Deutschland wird der Begriff Empowerment seit den 1980er Jahren durch Menschen verwendet, die rassistische Diskriminierung erfahren. Erst in den 1990er Jahren hielt der Begriff Empowerment Einzug in die Berufsfelder der sozialen Arbeit, der Entwick -lungshilfe und der Engagementpolitik. Damit einher ging ein Paradigmenwechsel weg von den De˛ziten hin zu einem Fokus auf die Potentiale der Klientin -nen und Klienten dieser Berufsfelder. Empowerment ist ein Prozess, der Zeit und eine quali˛zierte, diskriminierungssensible Begleitung braucht Œ die dafür nötigen Ressourcen stehen in Veränderungsprozessen häu˛g nicht von Beginn an zur Verfügung. Für viele Kommunen ist deshalb ein erster Schritt, überhaupt mit ge˜üchteten Jugendli -chen vor Ort in Kontakt zu treten und sie zu fragen, was sie bewegt. Eine Möglichkeit dies umzusetzen ist ein Konsultationsworkshop. Wenn Jugendliche beteiligt werden, ohne je- spricht man von Alibi-Teilhabe. Beteiligung Bindet man junge Geflüchtete als Expertinnen – dungen mit ein, spricht man von Konsultation. beteiligt, handelt es sich um Mitbestimmung. Wenn die Initiative und alle Entscheidungen von Jugendlichen selbst getroffen werden, dann kann man von selbstbestimmten han- ein Zusammenschluss junger Menschen mit und ohne Fluchthintergrund, ist ein Beispiel.
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5Zu einem Konsultationsworkshop werden gezielt ge˜üchtete Jugendliche und junge Erwachsene ein -geladen, um über ihre Situation vor Ort zu berich -ten. Ziel eines Konsultationsworkshops ist es, die Perspektive der jungen Menschen einzuholen, um den Prozess in der Kommune darauf ausrichten zu können. Wie nehmen sie das Leben in der Kommu -ne wahr? Was funktioniert aus ihrer Sicht gut? Und was könnte verbessert werden? Junge Ge˜üchtete werden in Konsultationsworkshops als Expertinnen und Experten ihrer Lebenssituation begriffen. Kon -sultationsworkshops sind ein wichtiger Baustein, um zu einer ersten Analyse der Bedarfe und Interessen ge˜üchteter junger Menschen zu kommen. Wichtig ist zu beachten, dass ein Konsultationsworkshop den Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht er -möglicht mitzuentscheiden, er kann jedoch der erste Schritt zur Beteiligung ge˜üchteter junger Menschen in der Kommune sein. Die Konsultationsworkshops, die im Rahmen des Programms —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi durchgeführt wurden, waren in der Regel Tagesworkshops. Sie wurden mehrheit -lich mit der (für die Workshops leicht angepassten) Methode —Zukun˚swerkstattfi durchgeführt, bei der die Teilnehmenden in einer Kritik-, einer Uto -pie- und einer Planungsphase ihre Perspektive for -mulieren konnten. Außerdem fanden auch weniger sprachbasierte Methoden Anwendung wie zum Bei -spiel die Bepunktung bestimmter Lebensbereiche (wie Wohnen, Schule oder Freizeit) mithilfe visueller Symbole, die Erstellung großformatiger Steckbriefe, Aufstellungen im Raum oder das kollektive Kartie -ren, bei dem die Teilnehmenden gemeinsam eine Karte des Sozialraums gestalten. Wichtig ist, dass alle Beteiligten dem Workshop gut folgen können, auch ohne gemeinsame Erstsprache, gegebenenfalls mit -hilfe von Sprachmittlung. Für eine erfolgreiche Umsetzung von Konsultations -workshops ist in der Vorbereitung entscheidend, auf der kommunalen Steuerungsebene Klarheit darüber herzustellen, mit welchem Ziel ge˜üchtete junge Menschen in der Kommune konsultiert werden sol -len, das heißt welches konkrete Beteiligungsangebot die Kommune den Workshopteilnehmenden ma -chen kann. In der Durchführung sollten dieses Ziel und die nächsten Schritte den Teilnehmenden von Anfang an transparent kommuniziert werden. Eben -so wichtig sind eine wertschätzende, diskriminie -rungssensible Haltung 4 gegenüber den Äußerungen der Jugendlichen, und bei Bedarf eine Vermittlung an Beratungsstellen 5. Für die Nachbereitung gilt: Werden die ermittelten Bedarfe in der strategischen Planung der Kommune berücksichtigt und die Ju -gendlichen im weiteren Verlauf informiert und ein -gebunden, steigt die Qualität von Veränderungspro -zessen in der Kommune. Konsultationsworkshops können somit ein erster Schritt zur Beteiligung ge -˜üchteter Jugendlicher in der Kommune sein. Viele weitere Schritte können folgen, um —bottom-upfi das Empowerment von ge˜üchteten Jugendlichen zu er -möglichen und —top-downfi die Verankerung einer Beteiligungskultur in den Regelstrukturen der Kom -mune umzusetzen. 6Zahlreiche Tipps und Erfahrungswerte zur prakti -schen Umsetzung von Konsultationsworkshops ˛n -den sich in der —Willkommen bei Freundenfi-Toolbox (siehe —Literaturfi, S. 17). Konsultationsworkshops im Programm —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi
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6Zwei Beispiele aus der kommunalen PraxisIm Folgenden werden Beispiele zur Verankerung von Konsultationsworkshops in der kommunalen Praxis vorgestellt. Im Programm —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi kamen Konsultationsworkshops auf ganz unterschiedliche Weise zum Einsatz. Beispiel 1: Konsultation zu Beginn jedes kommunalen Prozesses Eine Möglichkeit ist, Konsultationsworkshops in je -dem kommunalen Prozess zu nutzen, in dem es um die Situation ge˜üchteter junger Menschen geht, ganz unabhängig vom spezi˛schen Themenbereich. Dies wird im Folgenden anhand der Entwicklung des Formats Konsultationsworkshops durch das Service -büro Magdeburg im Programm —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi illust -riert. Im Jahr 2015 nahm das Servicebüro Magdeburg im Programm —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi seine Arbeit in Kommunen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auf. Hier gab es besonders viele Jugendämter, die in Folge der damals neuen Gesetzeslage7 zum ersten Mal unbe -gleitete minderjährige Flüchtlinge aufnahmen und betreuten. Der Bedarf an Personal und Quali˛zie -rungsangeboten war groß. Bald stellte das Team des Servicebüros fest, wie wenig in den meisten Kom -munen über die Bedarfe ge˜üchteter Jugendlicher bekannt war, obwohl das Interesse daran und die Offenheit dafür sehr groß waren. Selbst in den Hil -feplangesprächen ˜ossen offenbar wenig Informa -tionen. Daraus entstand die Idee, einen geschützten Rahmen zu schaffen, um mit ge˜üchteten Jugend -lichen ins Gespräch zu kommen. Die Ergebnisse sollten im Idealfall in die strategische Planung der Kommune ein˜ießen, wobei die Verantwortung für die Weiterarbeit mit den Ergebnissen bei den kom -munalen Akteuren selbst lag. Zu Beginn waren im Workshop neben der Modera -tion auch Betreuende der Jugendlichen anwesend. Bald zeigte sich jedoch, dass manche Jugendliche offener sprechen, wenn keine Personen anwesend sind, zu denen sie in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Außerdem wurde nach den ersten Konsulta -tionsworkshops deutlich, dass es einfacher ist, die Ergebnisse der Workshops in der kommunalen Pla -nung zu berücksichtigen, wenn sie vor der Ziel- und Maßnahmenplanung erhoben werden und nicht erst im laufenden Prozess. Daher stehen in der Arbeit des Servicebüros Magde -burg die Konsultationsworkshops seither am Anfang eines kommunalen Prozesses, um die Ergebnisse bereits bei der Ziel- und Themenbestimmung der Kommune berücksichtigen zu können. Alle neuge -starteten kommunalen Prozesse in den Bundeslän -dern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Programm wurden von nun an standardmäßig mit einem Konsultationsworkshop mit ge˜üchteten Ju -gendlichen begonnen Œ ganz unabhängig vom The -ma. Während der Programmlaufzeit konnten sich so immer mehr Kommunen davon überzeugen, wie hilfreich dieses Instrument für die kommunale Pla -nung ist. Einige der Kommunen, die das Servicebüro bereits seit 2015 begleitet, sind so überzeugt vom Format der Konsultationsworkshops, dass sie diese zukünf -tig gern selbst durchführen möchten, immer dann, wenn es um die Belange ge˜üchteter Jugendlicher und junger Erwachsener geht. So zum Beispiel der sächsische Landkreis Meißen, der bei einem Konsul -tationsworkshop mit jungen Familien im Juni 2017 er -fuhr, dass die meisten teilnehmenden jungen Frauen nicht zum Deutschkurs gehen konnten, weil sie kei -nen Kitaplatz für ihre Kinder fanden. Der Landkreis stellte daraufhin bei einer Prüfung fest, dass die Kita -plätze im Landkreis nicht gleichmäßig verteilt waren und sorgte für Abhilfe. Bei einem Folgeworkshop im Frühjahr 2018 hatten alle Familien einen Kitaplatz und die Frauen konnten einen Sprachkurs besuchen. Konsultationsworkshops ermöglichen Kommunen eine Ist-Stands-Erhebung der Interessen ge˜üchteter junger Menschen, bei Bedarf auch in regelmäßigen Abständen zum Vergleich. Die daraus gewonnenen Ergebnisse bilden eine hilfreiche Argumentations -grundlage für den Dialog mit Entscheidungstragen -den. Das Format der Konsultationsworkshops lässt sich bedarfsorientiert anpassen und ist daher für un -terschiedliche kommunale Kontexte transferfähig. Auch nach Ende des Programms können Kommunen das Erfahrungswissen von —Willkommen bei Freun -den Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi nutzen, um eigenständig Konsultationsworkshops durchzufüh -ren, zum Beispiel mithilfe der —Willkommen beim Freundenfi-Toolbox (siehe —Literaturfi, S. 18).
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8Bis Ende Juli 2018 fanden im Rahmen des Pro -gramms bundesweit 50 Konsultationsworkshops mit etwa 1.050 Teilnehmenden statt. Zu jedem Kon -sultationsworkshop wurde von Mitarbeitenden des Programms, der Kommune oder von Prozessbeglei -tungen ein Beobachtungsprotokoll erstellt. Diese Protokolle dokumentieren das Gesagte der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Fluch -terfahrung anhand von Zitaten. Außerdem wurden vereinzelt Beobachtungen und Eindrücke der Work -shopleitungen, der Protokollierenden oder der an -wesenden Fachkrä˚e aufgenommen. Die Protokolle dienten in erster Linie dazu, die Ergebnisse der Kon -sultationsworkshops in den kommunalen Prozess vor Ort einzubinden. Beobachtungsprotokolle von 21 der im Programm durchgeführten Konsultations -workshops wurden darüber hinaus genauer unter -sucht und ausgewertet 9. Die Protokolle sind je nach Kontext sehr unterschiedlich. Die Ergebnisse der Auswertung sind nicht repräsentativ 10. Dennoch be -steht der Wert der Analyse darin, dass sie Einblicke in die Lebenswelten der Teilnehmenden der Konsul -tationsworkshops im Programm —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi gibt und somit wichtige Erkenntnisse über selbige liefert. An den 21 ausgewerteten Konsultationsworkshops haben 366 Personen im Alter zwischen sieben und 27 Jahren teilgenommen. Bei einem Großteil handelte es sich um junge Männer, die zum Zeitpunkt der An -kun˚ in Deutschland minderjährig waren und ohne Begleitung nach Deutschland gekommen sind. Die Herkun˚sländer der Teilnehmenden waren vor al -lem Afghanistan, Syrien, Eritrea, Somalia und Gam -bia11. Die Konsultationsworkshops haben mehrheit -lich in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (insgesamt 12 Konsultationswork -shops) stattgefunden, vereinzelt auch in Bremen (vier Workshops), Brandenburg (zwei Workshops), Hamburg (zwei Workshops) und Berlin (ein Work -shop). Alle nun vorgestellten Ergebnissen sollten vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Lebenslagen und Bedarfe der Teilnehmenden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Fluchterfahrung äußern sich im Allgemeinen dazu, was sie im Alltag besonders bewegt. Das können zum Beispiel der Spracherwerb, die Wohnsituation, der Kontakt zu Freunden oder Familienangehöri -gen sein. Diese Themen werden in verschiedenen wissenscha˚lichen Untersuchungen sozialer Struk -turen 12 unter dem Begriff Lebenslagen zusammen -gefasst: Lebenslagen sind äußere Umstände, die von Individuen subjektiv wahrgenommen und bewertet werden. Je nach Zielgruppe können unterschiedliche Lebenslagen relevant sein. So kann für ge˜üchtete Personen die aufenthaltsrechtliche Situation im All -tag präsenter sein als für andere Personengruppen. Die Konsultation junger Menschen soll in der Kom -mune dazu beitragen, eine Veränderung zum Posi -tiven zu erreichen. Daher wurden die jungen Men -schen im Rahmen der Workshops vor allem nach ihren Bedarfen und Interessen gefragt, zum Teil auch nach ersten Lösungsideen innerhalb der Lebensla -gen. In der Auswertung der Protokolle spiegelt sich dieser Fokus auf die Bedarfe und Interessen der jun -gen Ge˜üchteten wider. Die zentralen Fragestellungen für die Auswertung waren: ŁWelche Lebenslagen lassen sich für die Teilneh- menden der Konsultationsworkshops identi˛zie- ren? ŁIn welchen Lebenslagen äußern die Teilnehmen- den der Konsultationsworkshops die größten Bedarfe? Aus den 21 Beobachtungsprotokollen mit insgesamt 1.098 Aussagen konnten sieben Lebenslagen für die Teilnehmenden identi˛ziert werden. Diese sind: Bil -dung, Wohnen, Beru˜iche Perspektive, Gesetzliches, Aussagen junger Geflüchteter in den Konsultationsworkshops
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9Freizeit und Engagement, Gesundheit und Soziales Netzwerk. Zusätzlich wurden zwei Querschnittsbe -reiche de˛niert: Teilhabe und Empowerment sowie Grundstimmung. Diesen wurden Aussagen zuge -ordnet, die in allen Lebenslagen beziehungsweise jenseits dieser genannt wurden. Im Folgenden wird die Verteilung der Bedarfe in den einzelnen Lebens -lagen vorgestellt und im vor dem Hintergrund der Programmerfahrungen diskutiert. Die Themen Be -ru˜iche Perspektive sowie Teilhabe und Empower -ment werden noch einmal detaillierter betrachtet, da diese Themen auch im Fokus des Gesamtprogramms —Willkommen bei Freunden Œ Bündnisse für junge Flüchtlingefi stehen. Die Teilnehmenden der Konsultationsworkshops äußerten am häu˛gsten Bedarfe innerhalb der Le -benslagen Wohnen (24 Prozent aller Aussagen), Be -ru˜iche Perspektive (19 Prozent) und Bildung (18 Pro -zent). Beim Thema Wohnen ging es beispielsweise um das Verhältnis zu Betreuerinnen und Betreuern, den Abbau von Diskriminierungserfahrungen in der Unterkun˚, um Anbindung an öffentliche Verkehrs -mittel, Zimmerausstattung und -au˚eilung oder um Kon˜ikte und Gewalt in der Unterkun˚. Aussagen zur Beru˜ichen Perspektive beziehen sich etwa auf Informationen für die Suche eines Praktikums-, Aus -bildungs- und Arbeitsplatzes, Zugangsbarrieren zu diesen durch ungesicherten Aufenthalt oder der feh -lenden Anerkennung von Urkunden und Zeugnissen sowie auf den Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen (siehe —Lebenslage Beru˜iche Perspektivefi, S. 10). Der Bereich Bildung umfasste Bedarfe bezüglich des Zugangs zu Informationen zum deutschen Bildungs -systems, des Spracherwerbs, der Wartezeit bis Schul -beginn oder der Kinderbetreuung. Die Lebenslagen Gesetzliches, Soziales Netzwerk, Freizeit und Engagement sowie Gesundheit wurden weniger häu˛g angesprochen. Der Bereich Gesetzli -ches (14 Prozent) umfasst Aussagen zu Themen wie der aufenthaltsrechtlichen Situation, dem Kontakt zu Behörden oder Vormündern Bedarfe im Bereich Soziales Netzwerk (13 Prozent) beziehen sich unter anderem auf den Kontakt zu Familienangehörigen, Religionsgemeinscha˚en oder zu Deutschen 13. Un -ter Freizeit und Engagement (zehn Prozent) wurden Aussagen der Teilnehmenden in Bezug auf Sport- und Freizeitangebote, das Fehlen von Infrastruktur und Räumlichkeiten für diese oder Diskriminie -rungserfahrungen innerhalb dieses Bereichs zusam -mengefasst. Bedarfe im Bereich Gesundheit (zwei Prozent) beziehen sich vor allem auf den Kontakt mit Ärztinnen und Ärzten sowie psychosoziale oder kör -perliche Gesundheit. Basierend auf den Erfahrungen der Programmmit -arbeitenden mit Konsultationsworkshops liegt es nahe, dass die Verteilung der Bedarfe über die ver -schiedenen Lebenslagen auf die Besonderheiten der Zielgruppe einerseits und den Kontext der Konsul -tationsworkshops mit Blick auf den kommunalen Zuständigkeitsbereich andererseits zurückzuführen ist: Viele Workshops wurden mit Minderjährigen oder jungen Erwachsenen durchgeführt, die ohne Begleitung nach Deutschland gekommen sind. Diese Personen, so wird angenommen, setzen sich beson -ders mit der Lebenslage Wohnen und den verschie -denen Aspekten in diesem Feld, wie dem Verhältnis zu Betreuenden und Mitbewohnerinnen und Mitbe -wohnern oder der Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr auseinander. Für die Zielgruppe Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene können zudem Themen wie Schule, Praktikum, Studium, Ausbil -dung und Arbeit, zusammengefasst die Frage nach der Bildung und beru˜ichen Perspektive, dem Über -gang von der Schule in den Beruf, besonders relevant sein. Sie be˛nden sich in einem Lebensabschnitt, in dem die selbstständige Lebensführung vorbereitet werden muss sowie wichtige Voraussetzungen für gesellscha˚liche Teilhabe und Integration geschaf -fen werden. 14Auch die besondere Bedeutung von gesetzlichen Regelungen, wie Aufenthaltsrecht, Familiennach -zug, Besuch von Deutsch- beziehungsweise Integra -tionskursen, Schulbesuch und Ähnliches begleitet die Teilnehmenden in ihrem Alltag. Wissenscha˚li -che Studien legen nah, dass dieser Bereich für jun -ge Ge˜üchtete eine größere Bedeutung hat als dies im Rahmen der Konsultationsworkshops deutlich wurde 15. Bei der Beantwortung von Fragen und vor allem beim Wunsch nach Veränderung der aufent -haltsrechtlichen Situation können die Programm -mitarbeitenden und Fachkrä˚e in den Kommunen an ihre persönlichen und fachlichen Grenzen sto -ßen. Ähnliches gilt für Themen im Bereich Gesund -heit. Die Perspektive der Jugendlichen auch jenseits kommunaler Zuständigkeiten ernst zu nehmen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen sowie die Ar -beit in Netzwerken mit kompetenten Informations- und Beratungsstellen gewinnen hier umso mehr an Bedeutung (siehe —Handlungsempfehlungen und Re -˜exionsfragenfi, S. 13).
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10 – Beruflichen Perspektive noch einmal detaillierter betrachtet Lebenslage Berufliche Perspektive * durch ungesicherten Aufenthalt, fehlende Anerkennung von Urkunden, fehlende Rückmeldung nach Bewerbung ** Kontakt mit Kollegen und Kolleginnen. Diskriminierungserfahrungen – —Wo kann ich ein Praktikum bekommen und wie . – Kontakt mit Kollegen und Kolleginnen oder den Abbau von Diskriminierungserfahrungen im Kontext des Praktikums, der Ausbil- dung oder des Berufs.Aus den Erfahrungen in der Programmarbeit entstand der Eindruck, dass die jungen Menschen mehrheitlich eine genaue Vorstel- als nicht in ihrer Handlungsmacht liegend wahr. – und weiteren aufenthaltssi- chernden Maßnahmen im Zuge einer Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit. Diskriminierungserfahrungen oder aufenthaltsrechtli- – Hintergrund rücken. Zugangsbarieren *Verfügbarkeit von Arbeits-, 37%Wunsch nach berufliche 24%14%13%7%5%
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11 – Aspekte dieses Querschnittsthemas auf. – oder geäußert: sei. -weise Mitbestimmung, wie in folgenden Zitaten deutlich wird: oder – – – werden. Aus den Konsultationsworkshops geht hervor, dass dies nicht immer der Fall ist, denn die Teilnehmenden benannten Querschnittsthema Teilhabe und Empowerment Diskriminierungserfahrungen sprachliche Barrieren gescheiterter Versuch derTeilhabe/MitbestimmungWunsch nach Begegnung und Austausch 48%11%11%10%8%3%Verfügbrkeit von Informationen 9%
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