by V Yep · 2002 · Cited by 3 — bezieht sich das Arrangieren auf die Harmonie99. Komposition und Arrangement sind zwei sich ergänzende Tätigkeiten. Im Sinne.

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151 KAPITEL 6 DAS MUSIKALISCHE ARRANGEMENT ALS GATTUNGSÜBERGREIFENDES MERKMAL Damit die banda ein Stück spielen kann, ist ein sogenanntes Arrangement – arreglo – notwendig. In der Anpassung eines Stückes an die musikalischen Bedingungen der banda liegt der Kern des estilo de banda. Diese Anpassung verlangt eine gewisse Geschicklichkeit, die einiges an musikalischen Grundlagen voraussetzt. So werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung der Musik der banda in diesem Kapitel zu einer Synthese gebracht. Für das Verstehen dieses Prozesses wird zunächst eine Definition des Arrangements für den Fall der bandas in Bajo Piura formuliert. Weitere Fragen sind in diesem Kapitel, was man in diesem Zusammenhang unter “Arrangement” versteht, und worin es sich von der “Komposition” unterscheidet. Das Arrangement orientiert sich in der Gestaltung an der banda, dabei lassen sich einige musikalische Merkmale feststellen, die in der Praxis als Regeln definiert werden können. 6.1 Definition Das spanische Wort arreglo bedeutet “Anordnung” bzw. “wiedergutmachen” und wird im Alltag häufig benutzt. Seine Bedeutung im musikalischen Fachjargon unterscheidet sich nicht sehr von seinem umgangssprachlichen Gebrauch, denn im Fall der bandas ist das Arrangement – arreglo – eine Neuordnung einer musikalischen Idee. Entweder arrangiert man ein Stück, das ursprünglich für eine andere Besetzung komponiert wurde oder man arrangiert eine erst neu komponierte, reine Melodie für eine bestimmte Besetzung. Beide Fälle kommen bei der banda vor. Für das Arrangement bestehen bestimmte Regeln, die in 6.2 analysiert werden. Ursprünglich versteht man unter “Komponieren” einen Prozeß, der die Schaffung eines Werkes und seine Niederschrift für die Aufführung miteinander verbindet (Hirsch 1987: 246). Nach dieser Definition wäre nur dann von Komposition zu reden, wenn der Komponist eine musikalische Idee hat, und sie auf dem Papier

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152 niederschreibt, d.h. der Kompositionsprozeß schließt die schriftliche Fixierung einer Idee mit ein. Allerdings kann sich dieser Kompositionsprozeß in der populären Musik – besonders bei den bandas von Bajo Piura – häufig auf zwei Arbeitsschritte verteilen, die nicht unbedingt von derselben Person durchgeführt werden müssen: Auf der einen Seite steht das “Komponieren” und auf der anderen das “Arrangieren”. In Bajo Piura wird unter “Komponieren” das Kreieren einer Melodie verstanden. Denkt man sich eine Tonfolge aus, und bringt sie durch pfeifen, summen, singen oder spielen akustisch zum Ausdruck, so komponiert man. Das Komponieren ist also mit der “Erfindung” einer Melodie verbunden. Natürlich ist dieser Prozeß nicht ganz ohne materielle Manifestation möglich. Nur ist hier die Notenschrift nicht mehr die einzige Möglichkeit, die Musik zu fixieren. Häufig ersetzt die Aufnahme eines Kassettenrecorders heutzutage die Schrift. So widerspricht die Vorstellung von Komposition in Bajo Piura der obigen Definition nicht. Da sich in Bajo Piura die Komposition hauptsächlich auf die Schöpfung einer Melodie bezieht, stellt sich dort beim Komponieren nicht die Frage, wie nun die Instrumentierung für die banda – also die Verteilung der Stimmen auf die Instrumente -, im Einzelnen aussehen soll. Dieses Problem entsteht erst beim Arrangieren, für das es bestimmte Regeln gibt, da die banda ihre eigene Instrumentierweise hat. Die Regeln stellen die Interaktion der Instrumente für die Schaffung der richtigen Klangfarbe in den Vordergrund. So bezieht sich das Arrangieren auf die Harmonie99. Komposition und Arrangement sind zwei sich ergänzende Tätigkeiten. Im Sinne des Kommunikationsmodells geht der Komponist über die rein mündliche Übermittlung hinaus zu der zweiten Phase dieses Prozesses: der Kodifizierung. Ist der Komponist selbst der Arrangeur, verschmelzen die beiden Phasen zu einer. Als Kodifikator hat der Arrangeur die Aufgabe, als erstes die ihm gegebene musikalische Idee für die banda zu formen und anzupassen; und im zweiten Schritt alles in Notenschrift zu kodifizieren. Dafür muß er bestimmte Voraussetzungen erfüllen: er muß die Instrumentierungstechnik nach dem Modell der banda (z.B. die transponierbaren Instrumente und deren Ambitus) und die stilistische “Sprache” der banda beherrschen, d.h. die Art und Weise, in der die banda eine Botschaft mitteilt: die dafür geeignete musikalische Form und vor allem den entsprechenden Klang. Das nächste Schaubild ist eine vereinfachte Vergrößerung eines Details aus Graphik 1 (S. 99 Im Gegensatz zu den criollos schreiben die Komponisten der banda die Musik auf, bevor sie sie spielen, dabei nehmen sie häufig ein Instrument (z.B. die Gitarre) für die Intervallbestimmung zur Hilfe.

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153 35): Akteur Funktion Aufgabe Komponist Sender musikalische Idee (Melodie) Arrangeur Kodifizierung Technik, Formen (Harmonie) Hat der Arrangeur die Stimmhefte fertig geschrieben – in diesem Fall ist ein Arrangement ohne Niederschrift unvorstellbar -, geht er zur banda. Die banda – einschließlich ihres Dirigenten – dient als Kanal für die musikalische Botschaft, denn durch sie wird der Klang akustisch erzeugt. Um dieses akustische Ereignis nachvollziehen zu können, muß man sich die entsprechende räumliche und zeitliche Situation vergegenwärtigen, die unter Anderem auch vom Instrumentarium, dem Arrangement, und den Zuhörern mitbestimmt wird. Schon in 2.1.1 (S. 46-47) wurden die Kompositionsmethoden der verschiedenen Komponisten der banda erwähnt, wobei die Melodie normalerweise zuerst komponiert und daraufhin arrangiert wird. Der Komponist kann sie selbst arrangieren oder dies, je nach seinen theoretischen Musikkenntnissen, einer zweiten Person überlassen. In diesem Zusammenhang ist das Arrangieren mehr noch als das Komponieren an die Notenschrift gebunden. Was bereits komponiert ist, muß nun der Gattung und vor allem dem Stil der banda angepaßt werden. Um das zu bewerkstelligen, gilt es bestimmte Grundlagen zu berücksichtigen, damit das Stück in geeigneter Weise umgeformt werden kann. Im allgemeinen und im ursprünglichen Sinne wird das Arrangement als Bearbeitung angesehen. Im Fall der bandas handelt es sich jedoch nicht unbedingt um die Umschreibung eines Musikstücks für eine andere Besetzung, obwohl die banda u.a. auch einige arrangierte tonderos spielt, die zum traditionellen Repertoire gehören und nicht speziell für die banda komponiert wurden. Das Konzept des Arrangements ist für die Komponisten in Bajo Piura eng mit der Vorstellung von Verschönerung verbunden. Eine Melodie zu arrangieren bedeutet nicht nur, sie für die banda spielbar zu machen, sondern auch, sie durch bestimmte Raffinessen zu verschönern:

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154 “Die Tricks, um ein Stück zu verschönern, setzen voraus, daß auch die Harmonie schön ist. Wenn Sie also ein Stück komponieren – beispielsweise einen valse -, muß der contracanto [Kontrapunkt], d.h. die Harmonie, genauso schön, oder noch schöner als die Melodie sein. Darin liegt der Erfolg eines Arrangements Dem guten Arrangeur gelingt es, eine Melodie zu verbessern, zu verschönern. So liegen 50 Prozent des Erfolgs eines Stücks beim Arrangement. Die anderen 50 Prozent sind ein Verdienst des Autors. Wenn er sein eigenes Werk selbst arrangiert, wird es viel besser, weil er das Beste hineinlegt, das er sich für sein Stück wünscht” (A. Mena, Interview 1999). “Ich arrangiere auf meine Art und Weise, während ein anderer Arrangeur es auf seine Weise tut. Wenn es diese Nuancen nicht gäbe – es kommt ja auf die Nuancen an -, wäre es monoton, also alle Leute unisono, was sie von den bandas folklóricas hören: alles unisono. Hier nicht, hier muß der Arrangeur viel von solfeo [Notenlesen] verstehen, viel Kreativität besitzen und die Akkorde – also die Harmonie – gut beherrschen. So kann man aus einer Melodie sogar eine vierte Stimme kreieren, damit es schöner klingt” (C. Chero, Interview 1999). Beim Arrangieren eines bekannten Stückes für die banda, kommt unter anderem noch die Imitation zu den oben genannten Aspekten hinzu: “Meine Methode zu Arrangieren ist je nach Stück verschieden. Wenn ich zum Beispiel eine salsa arrangiere, muß ich es genauso machen, wie auf der Schallplatte. Auch wenn es um eine marinera geht, denn die Tänzer hören die Schallplatte und tanzen nach dieser Version. Deshalb, wenn ich eine marinera nur nach Gehör spiele, tanzt der Tänzer nicht Aber wenn ich eine Melodie bekomme, die neu ist und ohne alles, mache ich ein Arrangement, ein spezielles Arrangement. Dafür muß ich zuerst die Melodie gut kennen und dann überlegen, was ich damit anfange Ich arrangiere nach meinem Geschmack und suche die nebenstehenden Töne [tonos vecinos]” (C. Chero, Interview 1999). “Zum Beispiel, wenn Sie mich bitten würden, ein Stück von den “Beatles” zu arrangieren Es wäre etwas schwierig, wegen der Rhythmen der Beatles in ihren Stücken, aber es ginge. So würde man die Töne der Gitarre der Klarinette geben bzw. die Töne des Basses dem Bajo oder Contrabajo, und sich bemühen, alles so gut wie möglich zu machen. Es ist wie eine Übersetzung, man versucht es nachzuahmen” (A. Mena, Interview 1999). Die Gebrüder Mena sind ein gutes Beispiel für eine gute Zusammenarbeit zwischen Komponist und Arrangeur, wobei die Rollen deutlich zu unterscheiden sind100. So stellt man fest, daß der Komponist für die Melodie, bzw. der Arrangeur 100 Da Genaro Mena seinen Lebensunterhalt mit seiner Werkstatt verdient, muß er mehrmals am Tag zwischen Catacaos und der Stadt Piura mit dem Auto hin und her fahren (siehe auch Fußnote 45, S.46). Daher baute er sich einen Kassettenrecorder im Auto ein, um während der Fahrt seine Inspirationen aufnehmen zu können. Die Aufnahmen mit den von ihm gepfiffenen Melodien bringt er seinem Bruder Alfonso, Saxophonist der “Banda Santa Cecilia”, der die Melodien transkribiert, strukturiert (cuadrar) und arrangiert. Soll die “Banda Santa Cecilia” sie spielen, arrangiert sie César Chero, der alle Arrangements für diese banda macht: “Der Komponist ist für eine schöne Melodie verantwortlich, die sich für eine gute Harmonisierung eignet. Wenn meinem Bruder Genaro eine schöne Melodie einfällt, gibt er sie mir, und ich teile sie sofort in Takte ein [cuadrar]. Als mein Bruder zu komponieren anfing, fehlte ihm die Metrik, aber dann merkte er es selbst und verstand, um was für einen Takt es ging. Man mußte ihm ein paar Lektionen geben, wie man ein Stück in Takte teilt [cuadrar]. Die klassische (sic!) Taktanzahl für ein Stück sind vier, acht, zwölf und 16 Takte. Wenn er mir seine Melodien auf Tonband zum Anhören gibt, muß ich darauf achten, ob ein Teil davon einem anderen Lied zu ähnlich ist. Ist das

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155 für die Harmonie verantwortlich ist: Während Genaro die Melodien einfallen, macht Alfonso sie – meistens für die banda – mit seinen Musik- und Harmoniekenntnissen spielbar: “Ich helfe meinem Bruder sehr, denn etwas, was keine Form hat, kann man nicht benutzen. In der banda ist es sehr leicht zu merken, wie wichtig der Arrangeur ist. Die banda besitzt nicht die Schönheit einer menschlichen Stimme, bei der sich die Zuhörer auf diese Schönheit konzentrieren, ohne viel auf die Begleitung zu achten. In der banda achten die Zuhörer auf die Soli aber auch darauf, was im Hintergrund klingt, also auf die Harmonie” (A. Mena, Interview 1999). Nach den vielen Aussagen der Komponisten und Arrangeure fasse ich eine Definition des Arrangements für den Fall der banda in Bajo Piura zusammen: Das Arrangement ist die Verschönerung einer reinen, neuen Melodie durch die Verteilung der Stimmen auf die Instrumente der banda, die gemeinsam die Grundlage für die Harmonie bilden. Das Arrangement eines bekannten Stückes verlangt, damit es von der banda gespielt werden kann, eine Art Übersetzung vom Original in die instrumentale Besetzung der banda. In beiden Fällen sind dafür feste Regeln zu berücksichtigen. 6.2 Das Arrangieren Als nächste Stufe erfordert das Arrangieren Œ entsprechend der Definition von 6.1 – mehr theoretische Musikkenntnisse als das Komponieren. Die Kunst, ein Stück für die banda zu arrangieren, erwächst aus der Erfahrung mit und in der banda. Das Arrangieren wird in der banda nicht extra unterrichtet. Die meisten Arrangeure fingen als Notenschreiber (copistas)101 an, bis sie von sich aus im Laufe der Zeit mit dem Arrangieren begannen. 6.2.1 Voraussetzungen Jede banda hat einen festen Arrangeur, der gleichzeitig in der banda spielt. Er wird vom Dirigenten aufgrund seiner musikalischen Verdienste dazu bestimmt und von allen anderen Musikern der banda respektiert. Man sagt, daß der Arrangeur der beste Musiker einer banda ist. Er kennt alle Tricks der banda und der Musiktheorie, wie sie für die vorteilhafteste musikalische Wirkung der banda notwendig sind. In Catacaos der Fall, muß er es ändern. So arbeiten wir” (A. Mena, Interview 1999). 101 Der copista ist derjenige, der alle Stimmhefte für die banda per Hand schreibt.

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156 gibt es hauptsächlich vier Personen, die sich mit der Produktion von Musik für die banda – als Komponisten, Arrangeure oder beides – beschäftigen: Name Komponist Arrangeur Instrument Feliciano Chero ja ja Trompete César Chero ja ja Saxophon Genaro Mena ja nein keins Alfonso Mena nein ja Saxophon Während die Gebrüder Chero jeweils beide Rollen erfüllen, ergänzen sich die Gebrüder Mena, indem Genaro Komponist und kein Arrangeur und Alfonso ein Arrangeur aber kein Komponist ist. Die Hauptaufgabe des Arrangements besteht darin, den Instrumenten eine Stimme in der Harmonie zuzuweisen. Wie schon erwähnt, erfüllt jedes Instrument eine harmonische Funktion: “Um etwas zu arrangieren, muß man zuerst die Melodie schreiben. Die Trompeten spielen die Melodie, die Klarinetten spielen Arpeggios, der Bajo spielt die Harmonie, der Contrabajo spielt die Bässe und das Schlagzeug spielt seinen Part je nach Stück – valse oder polka” (F. Chero, Interview 1999). Um ein Stück für die banda zu arrangieren, muß man die banda gut kennen. Allerdings ist die Besetzung der banda nicht immer gleich. Diesbezüglich stellen sich die folgenden Fragen: – Welches ist die Mindest- bzw. Höchstzahl an Musikern, damit sich eine banda als solche bezeichnen kann? – Welches Instrument der banda darf auf keinen Fall weggelassen werden, weil die banda sonst nicht mehr als solche zu erkennen ist? Die Musiker beantworteten diese Fragen ziemlich stolz, und waren sich im großen und ganzen einig in ihrer Meinung: “Eine banda hat mindestens 15 Musiker. Einmal trafen wir bandas aus Talara, Lobitos, Sullana, Piura. Das war 1945. Damals hatte jede banda 20 bis 30 Musiker. Wenn ich aber nur vier Musiker für eine Beerdigung holen muß, nehme ich eine Trompete, ein bombo [große Trommel], eine Tarole und einen Bajo. Also zwei Perkussionsinstrumente, weil die Perkussion das Wichtigste in einer banda ist” (F. Chero, Interview 1999). Obwohl die Komponisten von großen bandas und von ihrem eigenen Instrument

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158 richtig. Darüber hinaus muß der Arrangeur die Eigenschaften der Blasinstrumente und ihre notierte Tonlage kennen, denn die meisten Blasinstrumente sind transponierbar. So bilden die Erfahrung in der banda, die Kenntnisse der Notenschrift, der Eigenschaften der Instrumente, der Gattungen und der Harmonie die Grundlagen für das Arrangieren. 6.2.2 Prinzipien des Arrangements Wie jeder Kreationsprozeß unterliegt auch das Arrangieren einem methodischen Ablauf. Dabei müssen bestimmte Schritte eingehalten werden. Wie schon in 6.2 (S. 155) erwähnt, kommt das Arrangieren als nächster Schritt nach dem Komponieren, und dient dazu eine Melodie zu einem Musikstück für die banda umzuformen. Da die Komponisten sehr oft mit nur einer musikalischen Idee im Kopf zum Arrangeur kommen, verlangt diese Neuanpassung eine gewisse Geschicklichheit. So hat der Arrangeur als Erstes zwei Aufgaben zu erfüllen, um die musikalische Idee für die banda spielbar zu machen: Er muß die Melodie in Takte gliedern und an die ausgewählte, etablierte Gattung, die normalerweise eine feste Struktur und Anzahl von Phrasen und Takten hat, anpassen. Feliciano Chero beschreibt genau diesen ersten Schritt des Arrangierens: “Ich komponiere und arrangiere meine Stücke selbst. Wenn es einen Text gibt, mache ich die Musik darauf. Ich habe meine Gitarre beim Schreiben dabei, damit alles korrekt wird. Wenn es nicht stimmt, radiere ich es weg, verbessere es und teile es nach dem richtigen Takt [cuadrar]. Das [cuadrar] mache ich, wenn die Takte unvollständig sind, nach den Regeln, die wir von unseren Lehrern gelernt haben. Zum Beispiel ist eine Komposition richtig, wenn sie eine gerade Zahl von Takten [tiene par] hat. Wenn die Zahl ungerade ist, ist es für mich nicht richtig. Klar ist das auch eine Geschmackssache, aber damit es besser verständlich wird, ist eine gerade Zahl von Takten [con par] besser. Ich schreibe zuerst die Melodie mit einem leichten Arrangement, dann teile ich sie nach Takten [cuadrar] und verbessere sie, damit sie gerade wird. Dann schreibe ich nach und nach die Stimmen der Instrumente: die Trompeten spielen die Melodie, die Bajos die Harmonie, die Kontrabässe und Bombardon spielen den Baß. Die Stimme der Perkussion muß man auf einem einzigen Blatt schreiben” (F. Chero, Interview 1999). Ein gutes Beherrschen der Metrik und der Gattungen setzt mindestens die folgenden Grundkenntnisse voraus: – das Wissen über die Einteilung der musikalischen Phrasen in Takte (cuadrar. Übersetzung: “viereckig machen”), – die Fähigkeit ein Gleichgewicht der Stimmen herauszustellen, wobei die Ausklänge, beispielsweise in den Schlüssen der Phrasen, zu ergänzen sind, – die Kenntnis der strukturellen Bestandteile der Gattung (Reihenfolge der Teile, Wiederholungen, und Schlusskadenzen).

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159 Darüber hinaus muß der Arrangeur die Akkorde einer Melodie herausfinden können, die Eigenschaften der Instrumente und ihren Ambitus kennen und etwas mit ihrer Spielweise vertraut sein. Die Komponisten teilen die Meinung, daß die Melodie – besonders wenn sie neu ist – die Basis für das Arrangement bildet: “Es gibt bestimmte Tendenzen beim Arrangieren: Man muß harmonisieren. Man muß zuerst die Melodie aufschreiben und dann die Harmonie, denn umgekehrt geht es nicht. Die Melodie ist die Basis für alle: für den bombo, für die Becken, für die Klarinette. Die Saxophone spielen eine Rolle sowohl in der Melodie wie auch in der Harmonie” (F. Chero, Interview 1999). “Es gibt einige Regeln, die nur für das Arrangement für die banda gelten. Zum Beispiel wird der Baß in bestimmten Teilen und bestimmten Arrangements manchmal melodisch. Seine Harmonie ist die klassische (sic!) wie für den valse, den bolero oder die marcha. Jeder Arrangeur möchte etwas anders sein als Andere, und deshalb macht er etwas Besonderes, was nur im Einklang mit der Melodie erlaubt ist” (A. Mena, Interview 1999). Die Prinzipien des Arrangements für die banda, die ich mittels der Analyse meines Materials herausgearbeitet habe, sind: Dualismus, Parallelismus, cantus fractus, Gleichgewicht der Stimmen, Kontrapunkt und Ostinato. Man muß aber berücksichtigen, daß Begriffe der Musikterminologie im Fall der bandas zum Teil neue bzw. erweiterte Bedeutungen angenommen haben, die hier erläutert werden sollen. 6.2.2.1 Der Dualismus Dieses Prinzip basiert auf dem zweistimmigen Spiel zweier gleicher Instrumente, wobei jedes Instrument eine erste bzw. zweite Stimme spielt, die wiederum mehrfach besetzt werden kann. Der Unterschied zwischen einem “normalen” Duo und dieser dualen Besetzung in der banda besteht darin, daß sie überwiegend nicht im Kontrapunkt, sondern in Intervallabständen von meist parallelen Terzen und Sexten spielen, was eine bimodale Harmonie hervorruft (siehe auch 4.2, S. 107-108). Nach diesem Prinzip sind die Stimmen in den Stimmheften der “Banda Santa Cecilia” verteilt, wobei die Stimme der 1. Trompete dreifach und die der 2. Trompete doppelt besetzt ist (siehe auch 2.1.2, S. 50).

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160 Flöte 1. und 2. Klarinette 1. und 2. Trompete 1. und 2. Saxophon 1. und 3. (also 2.103) Posaune 1. und 2. Bajo Bajo Solo und 2. Bajo Die tieferen Stimmen – Tuba, Bombardon und eventuell Contrabajo – sind in der “Banda Santa Cecilia” einzeln besetzt. Eine Ausnahme bilden die Bajos, die im Kontrapunkt doppelt besetzt sind. In dem Notenheft wird ausdrücklich die erste Stimme des Bajo als “Bajo Solo” bezeichnet, während die zweite Stimme von einem zweiten Bajo übernommen wird: K6/1. Nr.4 “Una súplica a mi Dios por la paz del mundo”, Teil B, Bajo Solo und 2. Bajo: Dasselbe geschieht mit der ersten Klarinette. Ihr Stimmheft kann auch mit der Anweisung “Klarinette Solo” oder “Claris” gekennzeichnet sein, falls keine zweite Klarinette mitspielt. Im Gegensatz zum Bajo ist kein Kontrapunkt von zwei Klarinetten erlaubt. Ein Grund für diesen Unterschied in der Behandlung der zwei Instrumente – Bajo und Klarinette – liegt darin, daß der Bajo immer der Artikulation der Teile einer Gattung dient und für “die Kraft” verantwortlich ist, während die Klarinette für die Verzierung des ganzen Stücks zuständig ist. Ein Kontrapunkt durch die Verzierungen würde zu der Musik der banda, die sich als “kraftvoll” charakterisiert, nicht ganz passen (siehe Anhang 2, A6 zusammengestellte Partitur, S.230-232). 6.2.2.2 Der Parallelismus Mit dem Dualismus gleicher Instrumente hängt auch das Prinzip des Parallelismus zusammen, das die Organisation der Instrumente mitregelt. Da die Instrumente zweistimmig besetzt werden – 1. und 2. Flöte, 1. und 2. Trompete, etc. – ergibt sich eine Parität zwischen einem Instrument und einem entsprechenden, ähnlichen Instrument: 1. Trompete und 1. Saxophon. Vergleicht man die Stimmhefte beider Instrumente, sind ihre Stimmen gleich. Das alles bekommt aber in der Praxis eine 103 Das dritte Altsaxophon entspricht dem zweiten Saxophon (siehe auch 2.1.2.1, S. 53).

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161 andere Dimension, denn durch die sogenannten “Solos”, die in turnos erfolgen, spielen sie nur im Tutti tatsächlich parallel zueinander: “Für die turnos müssen die gleichen Instrumenten zusammenspielen: Saxophon mit Saxophon, Trompete mit Trompete und Klarinette mit Klarinette. Falls es keine zweite Klarinette gibt, muß man improvisieren (sic!): das Saxophon kann beispielsweise eine zweite Stimme – jedoch eine Oktave höher – spielen, um den Klang der Klarinette nachzuahmen. Manchmal können wir für einen Auftrag nur fünf Musiker holen – Trompete, Saxophon, Klarinette und zwei Perkussionisten; was machen wir dann? Wenn das Saxophon dran ist, muß die Trompete bei der marcha oder bei anderen Stücken die zweite Stimme spielen und umgekehrt” (A. Mena, Interview 1999). Den Musikern der banda ist diese Ähnlichkeit der Stimmen nicht bewußt. Nur weil die Stimmhefte – beispielsweise der 1. Trompete (in B) und des 1. Saxophons (in Es) – transponierte Töne zeigen, sind die beiden Stimmen in der Praxis für sie noch nicht identisch. Obwohl in der banda viele Instrumente mitspielen, stimmt die Zahl der verschiedenen Stimmen mit der Zahl der Instrumente nicht überein, denn es gibt mehr Instrumententypen als Stimmen. Zum Beispiel sind es in der von mir aus den Stimmheften herausgeschriebenen Partitur von G. Menas tondero “A mi Perú” 10 Instrumente: die doppelten Stimmen der Klarinette, der Trompete und des Saxophons, und die einzelnen Stimmen der Posaune, des Solo-Bajos, des Bombardons und des Contrabajos (siehe Anhang 2, A6, Partitur, S.230-232). Dagegen lassen sich höchstens sechs Stimmen unterscheiden: Stimme Besetzung Erste 1. Trompete/ 1. Saxophon/ 1. Klarinette (ab Takt 32 bis zum Ende) Zweite 2. Trompete/ 3. Saxophon/ 2. Klarinette (ab Takt 32 bis zum Ende) Dritte* 1. Klarinette (vom Anfang bis zu Takt 31) Vierte 2. Klarinette (vom Anfang bis zu Takt 31) Fünfte Solo Bajo Sechste Bombardon / Contrabajo Siebte Posaune * Die Posaune fällt in der “Banda Santa Cecilia” weg. So ergibt sich ein Spiel in Parallelbewegungen, wobei die Instrumente ebenfalls paarweise organisiert sind, jedoch wird die Parallelbewegung durch die turnos gedeckt. Die Paare bilden sich aus zwei verschiedenen Instrumenten, die dieselben Aufgaben im musikalischen Kontext erfüllen (1. Trompete und 1. Saxophon, 2. Trompete und 3. Saxophon) und dieselbe Stimme unisono, im Quart- oder im Oktavunterschied spielen können:

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