by T Gil · 2012 · Cited by 4 — Argumente werden in Argumentationen eingesetzt, indem sie vorgetragen und mit anderen Argumenten kombiniert werden, um mittels einer solchen Verknüpfung ihre

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Berlin 2012 Gedruckt auf säurefreiem alterungsbeständigem Papier Gestaltung/Design: Design Bureau kokliko, Frederike Wagner www.kokliko.de Druck/Printing: Endformat, Ges. für gute Druckerzeugnisse mbH Köpenicker Str. 187Œ188, 10997 Berlin Verlag/Publisher: Universitätsverlag der TU Berlin Universitätsbibliothek Fasanenstr. 88 (im VOLKSWAGEN-Haus) D-10623 Berlin Tel.: (030)314-76131; Fax.: (030)314-76133 E-Mail: publikationen@ub.tu-berlin.de http://www.univerlag.tu-berlin.de

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Inhalt Vorwort – 6I Allgemeiner Teil 1. Argumente – 10 2. Der Gebrauch von Argumenten in Argumentationen – 283. Die Kontexte des Argumentierens – 384. Die Vielfalt von Kriterien – 525. Argumentationen als soziokulturelle Errungenscha˚ – 646. Argumentation und gutes Leben – 727. Vernun˚ und Vernün˚igkeit – 80II Einzelne Argumentationen 8. Ästhetische Urteile – 859. Rechtliche Urteile – 10110. Politische Stellungnahmen – 11011. Ethische Argumentationen – 120Literaturverzeichnis – 134

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6Vorwort Menschliche Lebewesen tre˛en Entscheidungen in bezug auf das, was sie glauben oder annehmen können, sowie in bezug auf das, was sie tatsächlich tun wollen. Häu˝g lassen sie sich dabei von Traditionen, Gewohnheiten oder einfach Routinen leiten, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Es gibt allerdings Situationen, in denen sie nicht genau wissen, was sie tatsächlich meinen oder tun sollen. In modernen und sich im Zuge des wissenscha˚lich-technischen Fortschritts immer mehr modernisierenden Gesellscha˚en nimmt die Zahl sol -cher Unsicherheits- oder Ungewissheitssituationen konstant zu. Die Individuen sind dementsprechend immer mehr darauf angewiesen, unterschiedliche Überlegungen anzustellen, um die in der jeweiligen Situation enthaltenen Variablen bewusst zu machen und zu gewichten. Um Bewusstmachung geht es zum einen dabei. Man vergegenwärtigt sich, worum es jedes Mal überhaupt geht resp. welche zu berücksichtigenden Grö -ßen, Variablen oder Aspekte involviert sind. Zum anderen geht es um Gewichtung oder Bewertung dieser involvierten Fakto -ren. Nur so lässt sich auf rationalem Wege eine Entscheidung bzw. Stellungnahme herbeiführen. Dieser Überlegungsprozess nimmt häu˝g die Form einer Argumentation an, in der Ar -gumente entwickelt, gebraucht und gegeneinander abgewogen werden. Überlegungen und Deliberationen sind bereits argu -mentativer Natur. Zu expliziten Argumentationen führen sie, wenn in ihnen einzelne Argumente pro˝liert werden und in argumentativen Verfahren, die lange Zeit und gern von Philo -sophen als —Diskursefi bezeichnet wurden, ausgetauscht bzw. gegeneinander ins Feld geführt werden. Gerade diese Praxis oder Tätigkeit des Entwickelns und Ak -zeptierens von Argumenten in deliberativen Kommunikati -onssituationen ist das ˜ema der folgenden Untersuchung. In

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8tische argumentationstheoretische Sichten zu überwinden, die sich auf die Argumentationsstruktur ausschließlich konzent -rieren. Argumentationen ˝nden aber nie in einem lu˚leeren Raum statt, sondern in unterschiedlichen Kontexten, die nicht ohne Ein˙uss auf den Verlauf und die Bescha˛enheit der Argumen -tation bleiben. Kontexte haben ihre eigene Dynamik. Und diese bestimmt die grundsätzlichen Plausibilitäten für Argumenta -tionen. Mehr noch: radikal kontextualistisch betrachtet, erwei – sen sich Argumentationen als diskursive Stellungnahmen und Reaktionen in einem Begründungsraum, in dem es Sagbares und Nicht-Sagbares, Behauptbares und Nicht-Behauptbares, Plausibles und Nicht-Plausibles gibt. Mit diesen Kontexten der Argumentation beschä˚igt sich das dritte Kapitel. Entsprechend den Kontexten der einzelnen Argumentationen variieren auch die Kriterien, die argumentativ aktiviert wer -den bzw. in deren normativem Licht die diversen Argumenta -tionen statt˝nden. Es gibt eine heterogene Vielfalt von normati -ven Perspektiven und kriterialen Gesichtspunkten, je nachdem, was, wann und in welchem Rahmen argumentativ geklärt wird. Sie auf einige wenige reduzieren zu wollen, käme dem Verzicht auf ein sachangemessenes Verständnis der Praxis des Argumentierens gleich. Um diese Vielfalt von Kriterien und Gesichtspunkten, die für die Konstruktion der einzelnen Ar -gumenttypen und Argumentschemata von Relevanz ist, geht es im vierten Kapitel. Die Tätigkeit des Argumentierens wird zu Recht von manchen ˜eoretikern als —Kunstfi aufgefasst: als ein Können, das einge -übt werden kann und, was noch wichtiger ist, eine lange Tra -dition hat, in der es sich als solches entwickelt hat. Im fün˚en Kapitel wird das Argumentieren als Resultat einer soziokultu -rellen Evolution mit paradigmatischen Höhepunkten betrach –

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9tet, die positiv deswegen ist, weil sie dazu beigetragen hat, dass Dissense, Di˛erenzen, Interessenkollisionen und überhaupt Kon˙ikte zwischen Menschen nicht mittels Gewalt, sondern durch kommunikative Praxis und diskursive Verständigung geschlichtet bzw. ausgetragen werden können. Die argumenta -tive Lösung von Problemen ist in der Tat die bessere Strategie im sozialen Leben von Menschen und Menschengruppen, mit Problemen und Kon˙ikten umzugehen. Was Menschen letzten Endes wollen, ist aber nicht der diskur -sive Streit oder der argumentative Disput. Menschen wollen gut leben, und die Tätigkeit des Argumentierens erweist sich häu˝g als ein nützliches Mittel auf dem Weg zu einem besse – ren Leben. Was ist aber ein gutes Leben und in welchem Ver -hältnis steht die argumentative Praxis zu einem guten Leben? Diese und ähnliche Fragen werden im sechsten Kapitel erör -tert. Das siebte und letzte Kapitel des ersten allgemeinen Teils wir˚ die Frage nach der Leistungsfähigkeit und den Grenzen von Argumentationen auf. Dass Menschen argumentieren und argumentierend ihre Probleme und Kon˙ikte lösen, heißt nicht, dass (in der Begriˆichkeit Johann Gottlieb Fichtes) al -le menschlichen Verhältnisse nach Vernun˚prinzipien einge -richtet werden könnten, wohl aber, dass Vernün˚igkeit, die ja besser als Unvernun˚ ist, in der empirischen Lebens- und Handlungswirklichkeit von Menschen eine Chance hat. Um diese Vernün˚igkeit, für die die Praxis der Argumentation ein wichtiger Indikator ist, und nicht um —diefi Vernun˚, geht es im Kapitel und im komplexen praktischen Leben menschli -cher Individuen. Im zweiten, besonderen Teil werden einzelne Argumentatio -nen entfaltet, die sich ästhetischer, rechtlicher, politischer und ethischer Fragestellungen annehmen.

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10I. Allgemeiner Teil 1. Argumente Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Meinungen über die Angelegenheiten, die sie betre˛en, die Er -fahrungen, die sie machen, und die Ziele, die sie erreichen wol -len. Diese Meinungen koinzidieren selten. Sie divergieren eher und sorgen dafür, dass Missverständnisse, Di˛erenzen und Kon˙ikte zustande kommen. Argumentierend können aber Menschen rechtfertigen, warum sie so denken, wie sie denken, warum sie die Meinungen entwickelt haben, die sie entwickelt haben. Die Tätigkeit des Argumentierens besteht im einzelnen darin, dass rechtfertigende und begründende Argumente für die einzelnen Meinungen und Entscheidungen vorgetragen werden. Was sind diese Argumente, die zwecks Rechtfertigung bzw. Begründung des Geglaubten, Behaupteten oder Gewoll -ten entwickelt werden? Argumente lassen sich als Systeme von Sätzen deuten, die auf eine bestimmte Weise miteinander verbunden sind. In Argu -menten kommen Sätze mit Sätzen zusammen, wobei einige dieser Sätze die Funktion haben, andere Sätze zu begründen. Anders formuliert: Bestimmte Sätze lassen sind in Argumen -ten von anderen Sätzen ableiten, mit denen sie das jeweilige Argument ausmachen. Argumente bestehen, in der Sprache der Tradition ausgedrückt, aus Prämissen und einem Schluss -satz, der von den Prämissen abgeleitet wird. Deswegen haben Argumente immer eine Struktur, die den Übergang von Sätzen zu Sätzen ermöglicht. Argumente können eine oder mehrere Prämissen haben. Den Satz, der durch die Prämisse oder die Prämissen gerechtfertigt wird, nennt man die Konklusion oder den Schluss des Argu –

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11ments. Sowohl die Prämissen als auch der Schluss von Argu -menten werden durch Indikatoren markiert. Indikatoren sind Wörter oder Ausdrücke, die die inferentiellen Funktionen sig -nalisieren. Indikatoren für Prämissen sind beispielsweise die folgenden Ausdrücke: —dafi, —weilfi, —wegenfi, —auf der Basis vonfi, —gegeben, dassfi, —aufgrundfi und so weiter. Indikatoren für den Schlusssatz sind: —deswegenfi, —alsofi, —daherfi, —folglichfi, —es folgt, dassfi, —was beweist, zeigt oder belegt, dassfi und so fort. Im Alltag geschieht es häu˝g, dass die Struktur eines Arguments nicht geradlinig und transparent genug entfaltet und dargelegt wird. Umso wichtiger wird es dann, wenn man das Argument hinsichtlich seiner Geltungskra˚ evaluieren und kritisieren will, dass man seine Struktur herausarbeitet und anschaulich darstellt. Diese O˛enlegung der Struktur eines Arguments kommt faktisch einer Standardisierung des Arguments gleich, die sich diverser Diagramme bedienen kann. Übersichtlich hat man dann das Argument vor sich: Prämisse 1, Prämisse 2, Prä – misse 3, Prämisse n, Schlusssatz. Da bei manchen Argumenten Subargumente enthalten sind, deren Schlusssätze als weitere Prämissen fungieren können, erweist sich eine solche über -sichtliche Darstellung als sehr hilfreich. In solchen übersicht -lichen Darstellungen kann man genau sehen, wie die Subargu – mente im Hauptargument integriert sind. Hierzu soll später etwas gesagt werden. Das von Stephen E. Toulmin entwickelte Schema zur Rekon -struktion der Struktur von Argumenten ist mittlerweile klas -sisch geworden. Deswegen will ich im folgenden anhand dieses Schemas das bisher Gesagte begriˆich präzisieren. Toulmin behandelt Argumente wie —Organismenfi, die eine grobe, ana -tomische Struktur sowie eine feinere, physiologische Struktur hätten. Die letztere interessiert besonders wegen der Funktion, die sie für die erstere übernimmt. Eher als an der Mathematik orientiert sich Toulmin in seiner Analyse von Argumenten an

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